Der Innovation ein offener Raum

Im Anfang war das Pilotprojekt. Zwei Pilotprojekte, um genau zu sein. Das Crowdsourcing Projekt „Reden Sie mit“ und LOIS, das „Lab for Open Innovation in Science“. Während bei ersterem neue Fragen zum Thema psychische Gesundheit generiert wurden, bot zweiteres Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein Training zum Einsatz von Open Innovation Methoden in der Wissenschaft an. Nach vier Jahren Arbeit und Erfahrung setzt die Ludwig Boltzmann Gesellschaft (LBG) auf Basis dieser beiden Projekte den nächsten Schritt. Sie richtet das „Open Innovation in Science and Research Center“ (OIS) ein.

Das weltweit erste seiner Art. Insofern ebenfalls ein Pilotprojekt.

„Die Ergebnisse der Pilotprojekte ,Reden Sie mit“ und LOIS waren so gut und die – auch internationale – Resonanz so ermutigend, dass wir jetzt unser Engagement zu Open Innovation in Science langfristig ausbauen“, so Josef Pröll, Präsident der LBG, in Alpbach. „Wir sehen hier eine Entwicklung, die über Open Science und Open Access hinausgeht. Die zielgerichtete Öffnung wissenschaftlicher Prozesse oder die Zusammenarbeit mit unüblichen Wissensgeberinnen und –gebern werden weiter an Bedeutung gewinnen“, erklärt Pröll.

Als Schlagworte sind Open Innovation und Open Access seit geraumer Zeit schon in aller Munde. Sie werden zusehends in Diskussionen, Publikationen und Ankündigungen eingesetzt. Oft genug als nebuloses Versprechen aber fesch, weil neu.

Dem suchen mehr und mehr Initiativen etwas entgegenzusetzen. Peter Kraker vom Know Center der TU Graz zum Beispiel hat gemeinsam mit anderen die „Vienna Principles – a Vision for Scholary Communication“ und damit Prinzipien der Wissenschaftskommunikation in Zeiten von Citizen Science formuliert. Das OIS Center der Ludwig Boltzmann Gesellschaft fokussiert nun ab Herbst 2016auf die Entwicklung von Methoden, Trainings und Service für Wissenschaft und Gesellschaft. Sie schaffen damit eine methodische Basis für einen Begriff, sie definieren ihn. Untersucht werden unter anderem Crowdsourcing zur Generierung neuer Forschungsfragen oder Technological Competence Leveraging zur Identifikation neuer Anwendungsbereiche erfolgreicher bestehender Technologien. Die Ergebnisse fließen direkt in die Forschungsinstitute der LBG ein und werden auch extern angeboten.

„Mit dem OIS Center schaffen wir einen inspirierenden Raum für experimentelles und interdisziplinäres Arbeiten in der Wissenschaft und steigern das Bewusstsein für offene Innovation. Das OIS Center verspricht eine strukturelle und nachhaltige Verbesserung der Forschung in Österreich und ist ein gezielter Beitrag zur Weiterentwicklung des Innovationssystems“, unterstreicht Claudia Lingner, Geschäftsführerin der LBG.

2018 wird auf Basis des Centers und seiner Arbeit schließlich ein OIS Forschungsinstitut eingerichtet werden, wobei ab 2017 im Rahmen eines „Ideas Labs“ 25 ausgewählte internationale Wissenschaftler das Forschungsprogramm des Instituts experimentell konkretisieren. „Im Grunde genommen ist es unser Ziel“, so Projektkoordinator Patrick Lehner, „dass in zehn Jahren niemand mehr betonen muss, dass er Open Innovation betreibt, einfach weil es eine Selbstverständlichkeit geworden ist.“ Noch ist es eine Innovation, die unter anderem bei der Max Planck Gesellschaft, der Harvard Medical School und beim CERN auf Interesse stößt. (fvk)

© Todd Quackenbush/Unsplash

Automoral

Ein alltäglicher Unfall: In Kalifornien kracht ein PKW in einen LKW, es gibt ein Todesopfer. Keine Sensation. Wäre da nicht der Umstand, dass es sich bei dem (schuldhaften) PKW um einen Tesla mit Autopilot handelte. Somit ist es der erste Unfall mit Todesfolge durch ein autonomes Auto. Prompt gerät Teslas Aktien unter Druck, interessiert sich ein Senatsausschuss für den Unfallhergang. Und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ wirft die Frage nach der Moral des Algorithmus auf: „Wen soll das Roboterauto im Zweifelsfall opfern?“. Und unausgesprochen steht die Erleichterung im Raum, dass das fahrerlose Auto doch nicht besser ist als das menschengesteuerte.

Tatsache ist, was immer derzeit an autonomen Fahrzeugen in den USA und in Europa unterwegs ist, ist nur Prototyp. Ein Experiment in einer Umgebung und innerhalb einer Infrastruktur, die im Grunde noch gar auf die Anforderungen autonomer Fahrzeuge ausgerichtet sind. Unterwegs, um Erfahrungen zu sammeln. Und Daten.

„Wir befinden uns momentan in der zweiten Phase der Entwicklung“, merkt Helmut Leopold an. Leopold ist Head of Digital Safety & Security des Austrian Institute of Technology (AIT) und forscht an autonomen Systemen. In der zweiten Phase fährt der PKW mit Hilfe von Sensoren und Autopilot, wobei der Fahrer jederzeit eingreifen kann.

Im nächsten Schritt wird der Fahrer gleichsam zum Notfallsystem, so das eigentliche System ausfällt. In der vierten und fünften Phase schließlich wird der Wagen vollautonom sein. Unter anderem dank der Car-to-Car Kommunikation.

Damit ist die Grundvoraussetzung für autonomes Fahren beschrieben. Es basiert darauf, dass die Autos miteinander und untereinander kommunizieren, sich austauschen, im Verkehrsfluss aufeinander bestimmen. In Verbund mit einem sensorbestückten Straßenraum, dessen Statusmeldungen ebenso ununterbrochen in das System jedes einzelnen Wagens einfließen. Zukunftsmusik. Noch.

„Vielen ist gar nicht bewusst, dass heute der Flugverkehr schon autonom erfolgt, die Piloten nur noch als Notfallsystem agieren“, so Leopold. Das AIT arbeitet an der lokführerlosen Lok, an fahrerlosen Traktoren, an „Intelligent Vision Systems“. „Das Problem, dem wir uns gerade in der dritten Phase, mit dem Fahrer als Notfallsystem, gegenübersehen, ist die Übung des Fahrers“, schildert Leopold die Herausforderungen. Piloten trainieren laufend im Simulator, um im Fall des Falles eingreifen zu können. Doch Autofahrer? Wie soll, wie kann ein ungeübter Fahrer in einer komplexen Situation richtig eingreifen? Ein Grund mehr, die nächste Stufe, die des vollautonomen Autos, rascher anzustreben. Um den Unsicherheitsfaktor Mensch auszuschalten. „Das autonome Fahren wird zu einer deutlichen Reduktion von Unfällen und Unfallopfern führen“, betont Leopold. Es liegen Berechnungen vor, wonach 90 Prozent aller heutigen Unfälle durch autonome Autos verhindert werden können. „Unfälle aber wird es immer geben“ sagt der Forscher. Situationen, in denen heute ein Mensch darüber entscheidet, ob er selbst oder andere zu Schaden kommen, oft genug intuitiv. „Wir kommen nicht umhin, der Maschine eine Moral zu programmieren. Es müssen ethische Muster festgelegt werden, über die allgemeiner Konsens besteht. Zum Beispiel, dass man selber den Nachteil, den Schaden auch an Leib und Leben, in Kauf nimmt. Diese Diskussion hat bereits begonnen und sie ist wesentlich.“ (fvk)

© Swaraj Tiwari/Unsplash

Pfade der Furcht

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Schlicht „Angst“ lautet der Titel Joseph LeDoux´ aktuellen Buches. Wahrscheinlich ist kaum jemand besser geeignet, die hellen und die dunklen Seiten dieser Emotion zu beschreiben als der US-amerikanische Neurowissenschaftler. Seit über 30 Jahren erkundet der Psychologe an der New York University die neuronalen Grundlagen der Furcht. Er erkannte die Rolle eines kleinen Areals im Gehirn, des Mandelkerns (Amygdala), in Zusammenhang mit Angst und Furcht. Sowie Gefahr droht, treibt diese Region unseren Blutdruck in die Höhe, verursacht jagenden Puls und schärft unsere Sinne. Vor allem ist sie dafür verantwortlich, dass wir gefährliche Situationen nicht wieder vergessen.

So kann die Amygdala auf einmal gelernte Warnsignale reagieren noch bevor sie in der Hirnrinde vollständig verarbeitet, erkannt und ins das Bewusstsein vorgedrungen sind. Ein hoch notwendiger Impuls, der Mensch und Tier das Überleben sichert. Bisweilen leider mit höchst unangenehmen Nebenwirkungen verbunden Die emotionalen Erinnerungen, zum Beispiel an einen Geruch oder ein Geräusch, die mit Gefahr verbunden sind, sind eben in der Amygdala gespeichert. Sie können entkoppelt von den ursprünglich verbundenen und im deklarativen Gedächtnis abgelegten Erinnerungen überdauern. Und dann sorgen sie unversehens für Nervosität, für einen Schweißausbruch, für einen galoppierenden Puls. Einzig und allein, weil ein bestimmtes Geräusch ertönt oder ein spezifischer Geruch an die Nase dringt.

LeDoux stellte zudem fest, wie eine Erinnerung vom Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis übergeht. Und wie sich dieser Prozess umkehren lässt, um schon gespeicherte Langzeiterinnerungen gleichsam zu löschen.

Die Angst und ihre Formen aber gehen ihre eigenen Wege, nicht alle führen über die Amygdala. Manche führen direkt vom Hippocampus in den präfrontalen Cortex, dorthin, wo Entscheidungen getroffen werden. Diesen neuronalen Pfad hat ein Team rund um Stéphane Ciocchi und Thomas Klausberger von der Abteilung für kognitive Neurobiologie der MedUni Wien aufgedeckt. Dabei bedienten sie sich, wie LeDoux, des Tiermodells mit Ratten. Der Informationsfluss der Neuronen im Hippocampus wurde mit Hilfe einer opto-genetischen und elektrophysiologischen Untersuchungsmethode, die über Lichtreize funktioniert, analysiert.

Prinzipiell sendet der Hippocampus Informationen über Gedächtnis und Emotionen an eine Vielzahl anderer Gehirnregionen, die sich daraus gewissermaßen „bedienen“. Handelt es sich aber um Informationen zu „zielgerichtetem Verhalten“ und „Ängstlichkeit“ werden sie ohne Umwege und Streuung an den präfrontalen Cortex geschickt. „Wir haben die Pfade der Furcht gefunden“, so Ciocchi stark vereinfachend. Wobei die Unterscheidung zwischen Angst und Ängstlichkeit bedeutend ist. Letztere steht für die Furcht, sich einer bestimmten Situation auszusetzen. Angst hingegen ist eine unmittelbare Erfahrung. „Ängstlichkeit“, führt Ciocchi aus, „ist eine Mischung aus Erfahrung, genetischer Information und äußeren Umständen.“ Sie ist ein Zustand, der sich überwinden lässt – wenn die Aussicht auf Belohnung größer ist. Dieser Informationsfluss sei durchaus sinnvoll, „da die Intensität der Ängstlichkeit die Entscheidungsfindung in vielen Situationen des Lebens beeinflusst“. Auf jeden Fall biete die Arbeit nun die Grundlage für weitere klinische Studien. Die Erkenntnisse der Gruppe Ciocchi/Klausberger wurden im März 2015 in „Science“ veröffentlicht, im November letzten Jahres wurde Stéphane Ciocchi für seine Arbeit mit dem Sanofi-Preis für Medizinische Forschung in Österreich ausgezeichnet. (fvk)

 

Literatur:

„Selective information routing by ventral hippocampal CA1 projection neurons.“ S. Ciocchi, J. Passecker, H. Malagon-Vina, N. Mikus, T. Klausberger. Science, April 30, 2015.

„Angst“, Joseph LeDoux, ecowin, ca. 512 Seiten, € 26,–

Palmyra. Erfolg in Ruinen

Palmyra. Palmyra vor dem Wiederaufbau. Palmyra weniger zerstört als befürchtet. Palmyra von Daesh befreit. Palmyra und kein Ende.

© wikimedia

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Das ist gut so und das ist auch verständlich. Die Oasenstadt ist ein Symbol, sie steht für die lange Geschichte menschlicher Zivilisation, für das Zusammentreffen unterschiedlicher Menschen und Kulturen in an sich menschfeindlicher Umgebung, in der Wüste. Und sie steht in ihrer versehrten Schönheit auch dafür, was aus diesem Zusammentreffen erstehen kann.

Insofern ist es verständlich, dass Palmyra die gute Nachricht der letzten Tage ist.

Gleichzeitig ist Palmyra ein Geschenk für die Regierung Assad. Die Reputation der antiken Metropole färbt auf sein Regime ab. Er gilt, im Verbund mit seinen russischen Alliierten, nun gleichsam als Retter Palmyras, als Garant einer Ordnung, die von der Welt als ganzes anerkannt wird. Das geschändete Palmyra macht Assad zum wohl oder übel gelittenen Partner.

Der große Rest Syriens wird währenddessen nicht mehr wahrgenommen. Nicht die Flüchtlinge im Land, nicht die zerstörten Städte, die zerschossenen, in Trümmer liegenden Souks, Zitadellen, Tempelanlagen, Universitäten, Schulen und Kliniken. Um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen.

Syriens Verlust durch den Bürgerkrieg ist weit umfassender und tiefer gehend. Es ist der Verlust an Wissen. Die Intelligenz des Landes ist, bis auf wenige Ausnahmen, irgendwo in Lagern zwischen der Levante und Europa auf der Flucht gestrandet oder auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft – nur weg von Syrien.

Das ist der Unterschied. Palmyra lässt sich rekonstruieren, einerlei ob in Stein oder mittels 3-D-Installationen. Selbiges gilt für Aleppos Souk, seine Omaijaden-Moschee, seine Zitadelle, die Säulenstraße von Apameia am Orontes oder den Crac de Chevalliers. Letztendlich geduldige Monumente, die sich ins rechte Licht setzen lassen. Fataler sind die Raubgrabungen, deren Folgen nicht ungeschehen gemacht werden können, als durch sie schlichtweg Informationen zerstört werden. Ganz zu schweigen von dem wohl schwunghaften Handel mit antiken Kunstgegenständen aus geplünderten Museen und Sammlungen.

Was aber ist mit den Akademikern, den Forschern und Wissenschaftlerinnen, mit den Studenten und Fachkräften, die dem Wüten des Krieges entflohen sind? Ob ein befriedetes Syrien ihnen wieder Heimat werden kann, das steht dahin. Gerade diese Schicht der Bevölkerung war es, die vor fünf Jahren die Proteste gegen das Regime begann. Gegen ein Regime, das heute fester denn je im Zuge des Bürgerkriegs im Sattel sitzt und durchaus gute Chancen hat weiterhin im Sattel zu sitzen. Auch dank des militärischen Erfolgs in der pittoresken Oasenstadt.

Palmyra ist vielleicht gerettet, gewonnen ist nichts. (fvk)

Klima, Krieg und Katastrophen

Der syrische Bürgerkrieg, eine Folge des Klimawandels. So lässt sich US-Präsident Barack Obama vernehmen, so stellt es die wahlkämpfende Hillary Clinton in den Raum. Vor einem Jahr taucht die These erstmals auf. Ihr Autor ist Colin Kelley von der University of California.

© Jacob Valerio/Unsplash

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Kurz gefasst bezieht sich Kelley, und beziehen sich nach ihm andere Klimaforscher und nun eben auch die Politik, auf die Dürre der Jahre 2005 bis 2010, die als die längste, als die schlimmste Dürre gilt, die je in Syrien geherrscht hat. Zumindest seit es Aufzeichnungen zum Wettergeschehen gibt.

Die Auswirkungen, so Kelley & Co: Ernten fielen aus. Bauern fielen ins Elend. Teuerung und Mangel gingen Hand in Hand. Die Elendsquartiere in den Metropolen des Landes wuchsen an. Die Folge: Aufstand und Unruhe. Ein Land zerrissen in Fronten, aufgeteilt zwischen einander bekämpfender Soldateska und Terrormilizen. Millionen Flüchtlinge innerhalb Syriens, in den Nachbarländern, in Europa.

Klimaflüchtlinge, sagen die Klimaforscher rund um Colin Kelley, sagen US-Politiker. Und prognostizieren noch weitaus Schlimmeres, da Syrien eigentlich erst der Auftakt ist, die Overture zu einem Verteilungskampf von wahrhaft globalem Ausmaß. Die Zukunft – ein Schreckensbild.

© Splinter Suidman/Unsplash

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Halt. Stopp.

Da war noch etwas anderes. 2011 setzt sich von Tunesien ausgehend der „Arabische Frühling“ in Gang. Eine Revolution, die Ägypten erfasst und Libyen, die für Unruhen in Qatar sorgt, für eine Welle von Umstürzen, die alsbald, wie so viele Revolutionen im Laufe der Geschichte, fürs Erste scheitern, in einem Blutbad untergehen und alle Hoffnungen enttäuschen.

Syrien ist zu diesem Zeitpunkt nicht nur von einer Dürre historischen Ausmaßes getroffen. Syrien liegt inmitten des nahöstlichen Spannungsfeldes. Einerseits im steten (kalten) Krieg mit Israel, betroffen vom Bürgerkrieg im benachbarten Irak, in Konkurrenz zur machtbewusst aufstrebenden Türkei, andererseits seit Jahrzehnten schon mit der Sprengkraft fundamentalistischer sunnitischer Strömungen, nun ja, vertraut. 1982 schlagen die syrischen Streitkräfte Hafis al-Assads einen Aufstand der Muslimbrüder in Hama nieder. Die Opferzahlen werden auf bis zu 30.000 Menschen geschätzt. Die letzten Inhaftierten des Aufstands werden im November 2000 vom frischberufenen Präsidenten Baschar al-Assad amnestiert und aus den Gefängnissen entlassen.

Damals, nach dem Tod des langzeitherrschenden Vaters, herrscht Optimismus in Syrien. Der Sohn lockert hier die Zügel, amnestiert dort ein wenig. Er wird in einem Atemzug mit Abdullah von Jordanien genannt und mit Mohammed von Marokko. Die junge Garde, die, westlich orientiert und ausgebildet, für Reformen sorgen wird, für ein neues Klima in der arabischen Welt.

Von 2001 bis 2002 dauert der Damaszener Frühling. Ein kurzes, hoffnungsvolles Jahr. Dann folgt unvermittelt der Damaszener Winter, als Reaktion auf die immer unverhohlener vorgetragenen Reformwünsche der Bevölkerung, mit Schauprozessen und einer Rücknahme der bisher erfolgten Reformen.

© Darell Chadock/Unsplash

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Mag nun auch von Frühling und Winter die Rede sein, aber alles das lassen die Proponenten der These vom ersten Klimakrieg und von den Klimaflüchtlingen außer Acht.

Dass die Dürre Auswirkungen auf das soziale Leben in Syrien hatte, davon kann mit Fug und Recht ausgegangen werden. Mehr Auswirkungen hatten indes die Flüchtlingsströme aus dem Irak, die nach Syrien gelangten, die die Infrastruktur des Landes noch mehr belasteten. Auswirkungen hat vor allem der frühe Verlauf des „Arabischen Frühlings“, der Sturz Mubaraks, das Ende Ghaddafis im Straßengraben – die Revolution als Künderin einer besseren Zukunft. Das lassen Kelley et. al. außer Acht.

Dito die Frage, weswegen die Dürre nur auf Syrien derart katastrophale Auswirkungen gehabt haben soll, nicht aber auf die anderen Länder der Region? Was ist mit Jordanien? Was mit Libanon? Beides Staaten an den Grenzen ihrer Belastbarkeit in jeder Hinsicht, volatil-fragile Gebilde, die dennoch bisher erstaunlich stabil geblieben sind.

Schon machen noch schlimmere Szenarien die Runde. Von bis zu einer halben Milliarde Menschen auf der Flucht vor den Folgen der globalen Erwärmung ist zu lesen und zu hören. Menschen, die sich aus dem ungleich stärker betroffenen Süden nach dem Norden wenden werden, auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen.

© Tyler Barnes/Unsplash

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Zeit, einen Schritt oder zwei zurück zu machen.

Unbestritten ist, der Klimawandel wird zu einem Mehr an Wetterextremen führen.

Unbestritten ist, dass die Menschheit weltweit von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sein wird. Und unbestritten ist, dass der Nahe Osten so wie große Teile Afrikas ungleich stärker davon betroffen sein werden als Europa oder die USA.

Man könnte auch sagen, dass jene Staaten, die über ein Mindestmaß an Infrastruktur, an einem sozialen Netz, an Bildungseinrichtungen, an einer innovationsgetriebenen Wirtschaft besser mit den Folgen werden umgehen können als das Gros der Schwellenländer. Sie werden sie besser abfedern können.

Unbestritten ist freilich auch, dass in den USA der Klimawandel nach wie vor von maßgeblichen Teilen der Politik mit geradezu religiösem Eifer rundheraus in Abrede gestellt wird.

Sohin ergibt sich ein etwas anderes Bild. Indem US-Forscher und Politiker dem Klimawandel eine zusätzliche, außen- und sicherheitspolitische Dimension verleihen, haben sie die Chance, innenpolitisch endlich wahrgenommen zu werden. Frei nach dem Motto: Schenkt ihr der reinen Faktenlage keinen Glauben, dann bewirken Dystopien vielleicht ein Umdenken.

Politisch mag das als ein probates Mittel gelten. Wenigstens auf kurze Sicht und um das Faktum eines Wandels in der Gesellschaft zu verankern.

Mittel- und langfristig ist es indes höchst fragwürdig. Indem ein apokalyptisches Bild entworfen wird, wird eine Unausweichlichkeit insinuiert, der man nichts entgegensetzen kann.

© Bhavyesh Acharya/Unsplash

© Bhavyesh Acharya/Unsplash

Doch gerade den Folgen des Klimawandels lässt sich entgegenwirken. Das Wissen, die Technologien, die Instrumentarien sind vorhanden. Vor knapp einem Jahr hat der schwedische Forscher Johan Rockström sie im Rahmen eines vom IIASA und dem Forum Alpbach veranstalteten Vortrags in Wien dargelegt. Das wäre, das ist im Grunde die Aufgabe der Wissenschaft, Fragen zu beantworten, Lösungswege zu skizzieren, das Mögliche ersichtlich zu machen. Darauf sollte die Politik Bezug nehmen. Nicht auf die Apokalypse. (fvk)

Und noch ein Videotipp: „In Damascus“ von Waref Abu Quba: Sehenswert.

Interaktiv: Der Garten der Lüste

Der Garten der Lüste von Hieronymus Bosch @ Prado/Madrid

Der Garten der Lüste von Hieronymus Bosch @ Prado/Madrid

Vor 500 Jahren ist der großartige Hieronymus Bosch verstorben. Zeitzeuge einer Epoche, in der die Wissenschaft sich mehr und mehr Bahn brach; die durch Religionskämpfe gezeichnet war; durch einen radikalen Umbrauch. In seiner Heimatstadt s´-Hertogensbosch in den Niederlanden ist ihm und seinem Werk eine umfassende Ausstellung gewidmet. Bis 8. Mai sind im Noordbrabants Museum 20 Gemälde und 19 Zeichnungen zu sehen. Nur eines fehlt. „Der Garten der Lüste“. Der befindet sich in Madrid und darf Spanien nicht verlassen. Für die niederländischen Ausstellungsmacher eine Herausforderung, der sie mit einer interaktiven Onlineplattform begegnen. Wodurch das Monumentalgemälde ganz anders, viel direkter, viel intensiver zu erfahren ist als im Prado (sieht man von der Unmittelbarkeit des Betrachtens ab). Als denn: Auf zu einer Entdeckungsreise!

Gen Editing – Im Nebel neuer Wege

Während seiner späten Jahre bedauerte Erwin Chargaff den wissenschaftlichen Fortschritt. Er bedauerte ihn nicht nur, er wandelte sich zum warnenden Rufer. Die Sequenzierung des menschlichen Genoms war ihm ein Gräuel, er fürchtete ein Herumpfuschen am menschlichen Erbgut, eine Zukunft aus frankensteinschen Monstren.

Dystopische Vorstellungen gehen auch dieser Tage wieder mit dem Gen Editing einher. CRISPR, die Methode, die eine bislang unerreichte Präzision bei genetischen Eingriffen ermöglicht – theoretisch auch die Heilung von Erbkrankheiten – befeuert sie. Nicht nur bei prinzipiellen Gegnern jeglicher genetischer Forschung und Anwendung. Wie der Guardian berichtet, warnte der Genetiker Robin Lovell-Badge in Washington vor verbrecherischen Wissenschaftlern, die außerhalb des Gesetzes agieren. „Die Vorstellung, dass es Kliniken geben könnte, die diese Dinge tun, ist äußerst beunruhigend“, so Lovell-Badge am Rande einer Konferenz der American Association for the Advancement of Science (AAAS).

Unwägbarkeiten sehen die Forscher @ Unsplash/Luis Perdigao

Unwägbarkeiten sehen die Forscher @ Unsplash/Luis Perdigao

Lovell-Badge äußerte sich nicht etwa aus heiterem Himmel zu diesem Thema, sondern reagierte auf den Auftritt James Clappers. Der Direktor der US National Intelligence hatte kurz zuvor im Rahmen einer Anhörung im US-Senat vor den potentiell gefährlichen Konsequenzen unkontrollierten Gen Editings gewarnt.

Die US-Geheimdienstler reihen Eingriffe in das Erbgut unter die sechs potentiellen Massenvernichtungswaffen, die die Vereinigten Staaten gefährden können. Sozusagen auf einer Stufen mit Atomwaffen aus Iran, Nordkorea und China. Biowaffen also.

Der Bericht vor dem Senat weist auf den einfachen Zugang zur notwendigen Infrastruktur, die rasante Entwicklung in der Forschung und die im Grunde inexistenten Regulierungen hin. Im Klartext: Wer will, der kann. Im Erbgut herumpfuschen. Es braucht noch gar nicht einmal das menschliche zu sein. Es reicht eine schlichte Änderung der genetischen Codierung der Beulenpest. Und perfekt ist die globale Katastrophe.

Geheimdienste sehen Gefahren lauern @ Unsplash/Harman Abiwardani

Geheimdienste sehen Gefahren lauern @ Unsplash/Harman Abiwardani

Nun gehört es zu den Pflichtübungen aller Geheimen üble Szenarien zu entwerfen und sich über Fragen der Abwehr und der Kontrolle den Kopf zu zerbrechen (und dafür weitreichende Befugnisse einzufordern). Doch mit diesem Bericht zeigen die Nachrichtendienstler nur, dass sie auf der Höhe der Zeit sind.

Es sind die Forscher selbst, die alle denkbaren Szenarien durchdenken und verhandeln. Auch die dystopischen.

Erst letzten Dezember diskutierten, auf Einladung der National Academy of Sciences, der Royal Society und der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, in Washington DC Genomexperten aus aller Welt drei Tage lang Möglichkeiten und Grenzen von Eingriffen in das menschliche Erbgut. Gemeinsam verabschiedeten sie ein Statement, in dem sie die klinische Anwendung von Editing-Methoden an der Keimbahn als unverantwortlich bezeichneten, so lange ethische Vorbehalte nicht ausgeräumt sind.

Zwar gingen die Wissenschaftler nicht so weit, nach einem Moratorium zu verlangen oder nach einer gesetzlichen Einschränkung der Forschung, wohl aber forderten und fordern sie regelmäßige Diskussionen der Sicherheitsbedenken und eine breite gesellschaftliche Akzeptanz. Gleichzeitig verpflichteten sie sich zu einer intensiven Grundlagenforschung innerhalb gesetzlicher und ethischer Grenzen.

Die Akademien urgieren Richtlinien © Unsplash/Eric Huang

Die Akademien urgieren Richtlinien © Unsplash/Eric Huang

In der Vorsicht nun treffen sich die Interessen der Forscher durchaus mit jenen der Geheimen – und der Allgemeinheit. Sieht man von der Kernspaltung ab, ist dem Menschen kein mächtigerer Schlüssel je in die Hand gefallen. Einer, welcher das Tor zu einer im Sinne des Wortes wunderbaren Zukunft öffnen kann, welcher aber auch eine Pforte zur Hölle erschließt.

Unausgesprochen fürchten die Genetiker ihren „Manhattan-Project-Moment“. Jenen Augenblick, in dem offenbar wird, welch zerstörerische Kraft ihrer Forschung innewohnt, sie die Folgen aber nicht mehr unter Kontrolle haben. Weil längst andere sich der Technik und ihrer Anwendung bemächtigt haben.

Es ist wohl diese Erfahrung, die die Physiker in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts machten, welche die Genetiker prägt.

Grenzübergreifende Diskussionen sollen den Blick schärfen © Unsplash/Sylvain Guiheneuc

Grenzübergreifende Diskussionen sollen den Blick schärfen © Unsplash/Sylvain Guiheneuc

So gesehen bauen sie auf der Erfahrung der Physiker auf. Ein wesentlicher Unterschied. Nicht der einzige. Während des Zweiten Weltkriegs arbeiteten die Physiker unter absoluter Geheimhaltung und Abschottung und wähnten sich in einem Wettrennen mit ihren Fachkollegen in Nazi-Deutschland. Heute hingegen diskutieren die großen und maßgeblichen Institutionen über alle nationalstaatlichen Grenzen hinweg Folgen und Auswirkungen neuer Erkenntnisse. Sie suchen durch Kooperation und eine breite fachliche wie gesellschaftliche Debatte gleichsam eine Sicherheitsarchitektur zu errichten, Wegmarkierungen zu definieren. Es ist eine der essentiellsten Auseinandersetzungen unserer Zeit. (fvk)

Travelling the Universe

Wie weckt man Neugierde? Durch Bilder. Und geht es um unbekannte Welten, dann helfen Bilder, die doch auch bekannt sind. Die Nasa lädt nun ein, zu einer Reise durch unser Sonnensystem und darüber hinaus. Ganz im Stil alter Reiseplakate. Auch so kann Forschung sein. Der Zukunft zugewandt und doch ein wenig retro.

Alle Plakate © Nasa/JPL-Calte

Die schönen Wellen der Gravitation

Numerische Simulation zweier verschmelzender Schwarzer Löcher © S. Ossokine, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik)Wissenschaftliche Visualisierung: W. Benger (Airborne Hydro Mapping GmbH)

Numerische Simulation zweier verschmelzender Schwarzer Löcher © S. Ossokine, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik)
Wissenschaftliche Visualisierung: W. Benger (Airborne Hydro Mapping GmbH)

Dann und wann hört man, das Jahrhundert der Physik sei längst passé. Es herrsche nun ein anderes. Wenigstens das einer anderen Disziplin. Aber dann, nicht gänzlich unverhofft, aber doch in gewisser Weise überraschend sorgt gerade die Physik für die große Meldung des Jahres. Alsdenn: 1916 kam Albert Einstein anhand seiner Berechnungen zu dem Schluss, dass alle Massen den Raum nicht nur verformen, sondern auch verzerren. Als Folge ihrer Beschleunigung oder ihres Bremsens. Dabei, so folgerte Einstein, müssten Gravitationswellen entstehen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit im Universum ausbreiteten. Man dürfe sich das so ähnlich vorstellen wie die Wellen, wenn ein Stein in einem Teich oder einem See versenkt würde. Und beim Vorstellen werde es wohl bleiben, so Einstein, denn der Effekt würde wohl niemals beobachtet werden können.

Numerische Simulation zweier verschmelzender Schwarzer Löcher © S. Ossokine, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik)Wissenschaftliche Visualisierung: W. Benger (Airborne Hydro Mapping GmbH)

Numerische Simulation zweier verschmelzender Schwarzer Löcher © S. Ossokine, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik)
Wissenschaftliche Visualisierung: W. Benger (Airborne Hydro Mapping GmbH)

100 Jahre später ist Einstein widerlegt, nicht in Sachen Gravitationswellen, ganz und gar nicht, hier ist er, einmal mehr muss man sagen, bestätigt worden, sondern in seiner Annahme, der Effekt würde nicht beobachtet werden können. Exakt dies ist nun gelungen.

Das Großes bevorsteht, davon war in den letzten Tagen immer wieder zu hören. Andeutungen machten die Runde, auch in den Weiten des Internets. Es gehe wohl um die Gravitationswellen, es gehe um den Beweis, es gehe um einen Nachweis, der des Nobelpreises würdig sei. Ein Jahrhundertereignis.

Gravitationswellen, die während der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher abgestrahlt werden. © S. Ossokine, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik)Wissenschaftliche Visualisierung: W. Benger (Airborne Hydro Mapping GmbH)

Gravitationswellen, die während der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher abgestrahlt werden. © S. Ossokine, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik)
Wissenschaftliche Visualisierung: W. Benger (Airborne Hydro Mapping GmbH)

In jahrelanger Zusammenarbeiten spüren US-Amerikanern mit ihren Gravitationswellenantennen Ligo, Italiener mit Virgo und die Deutschen mit Geo600 den Gravitationswellen nach. Je vier Kilometer lang sind die zwei Ligo-Antennen, Laserarme eigentlich und die sensibelsten Gravitationswellendetektoren, die man sich nur vorstellen kann.

Diese hypersensiblen Arme haben im September 2015 deutliche Signale von Gravitationswellen aufgezeichnet. Signale, die wiederum von zwei mittelschweren Schwarzen Löchern ausgelöst wurden. Bevor sie miteinander fusionierten, kam das eine Objekt auf die 29fache Masse, das andere auf die 36fache Masse unserer Sonne. Das so entstandene Schwarze Loch wirft nun rund 62 Sonnenmassen in die Waagschale. Der Rest, immerhin die Masse dreier Sonnen, hat sich verflüchtigt. In Form von Gravitationswellen, die nun in Lichtgeschwindigkeit durch das All rasen. Die Wissenschaftler vermuten eine Entfernung von 1,3 Milliarden Lichtjahren und das ungefähr in der südlichen Hemisphäre. So ganz genau ließe sich das nicht sagen. Das soll aber die einzige Unschärfe bleiben.

Gravitationswellen, die während der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher abgestrahlt werden. © S. Ossokine, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik)Wissenschaftliche Visualisierung: W. Benger (Airborne Hydro Mapping GmbH)

Gravitationswellen, die während der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher abgestrahlt werden. © S. Ossokine, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik)
Wissenschaftliche Visualisierung: W. Benger (Airborne Hydro Mapping GmbH)

Ganz im Hintergrund lauert da noch die unschöne Erinnerung an die Meldung von vor zwei Jahren, als der Nachweis auch schon verkündet, dann aber wieder zurückgenommen werden musste, weil kosmischer Staub die Forscher in die Irre geführt hatte. Diesmal aber sind die Wissenschaftler, unter ihnen Physiker des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik, sich sicher. Es sind echte Gravitationswellen.

Gravitationswellen, die während der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher abgestrahlt werden. © S. Ossokine, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik)Wissenschaftliche Visualisierung: W. Benger (Airborne Hydro Mapping GmbH)

Gravitationswellen, die während der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher abgestrahlt werden. © S. Ossokine, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik)
Wissenschaftliche Visualisierung: W. Benger (Airborne Hydro Mapping GmbH)

Und diese sind uns nun wie ein neues zusätzliches Sinnesorgan. Mit ihrer Hilfe ist es den Menschen nun möglich Phänomene zu untersuchen, die sich im Bereich der elektromagnetischen Wellen der Beobachtung bisher entzogen haben. Das Universum ist eine Schattenwelt. „99 Prozent sind dunkel“, sagt Karsten Danzmann vom Max-Planck-Institut. Nun kann man in die Schatten blicken.

Das, was man solchermaßen „sieht“, wird von Illustratoren umgesetzt und von ergreifender Schönheit. So wie manche Formel Einsteins. (fvk)

Konrad Lorenz: Entzug ohne Erkenntnisgewinn

Mit Konrad Lorenz ist das so eine Sache. Da ist einerseits der Wissenschaftler, der Verhaltensforscher von Weltruf, der Nobelpreisträger. Dann ist da andererseits der Kulturpessimist Lorenz, der in der Moderne den Niedergang des Menschen sah, der ein „Zurück zur Natur“ propagierte, lange bevor die Grünen das zu ihrer Sache machten, der konsequent so manchen kruden Gedankengang aus den 30er und 40er Jahren bis in das späte 20. Jahrhundert weiterspann. Und schließlich ist da auch noch der NS-Karrierist Konrad Lorenz, der nach einer ersten Zurückweisung durch die Nazi-Wissenschaft, sich umso hemmungsloser andiente, anbiederte und mit der Naziideologie sich gemein machte.

Die Universität Salzburg hat ihm nun deswegen die Ehrendoktorwürde aberkannt. Weil ihr, der Universität, zum Zeitpunkt der Verleihung, Lorenz´ Verstrickung mit dem Nazi-Regime nicht bekannt gewesen sei.

Ein Ehrendoktorat hat Gewicht. Es sollte Gewicht haben, nicht einfach ein Dutzendtitel sein. Seine Träger sollten bestimmten Kriterien genügen. Sie müssen also herausragende Forscher sein, Nobelpreisträger zum Beispiel. Sie sollten zum Verständnis ihres Forschungsgebiets maßgeblich beitragen, Kommunikatoren im besten Sinne des Wortes sein.

Beides trifft auf Lorenz zu. Wäre da, aus Sicht der Universität, nicht seine Verquickung mit den Nazi, sein offensives Werben um Zuneigung, Vertrauen, Posten und Forschungszuschüsse. Das hat damals schon Freunde und Wegbegleiter irritiert. Dass die Universität Salzburg davon nichts gewusst haben will, das ist erstaunlich. Aber sei´s drum.

Konrad Lorenz ist ein perfektes Beispiel dafür, wie leichtfüßig und bereitwillig sich Menschen mit totalitären Regimen einlassen, so sie sich daraus Vorteile versprechen. Daniel Goldhagen spricht von „Hitlers willigen Vollstreckern“, von der Kumpanei zwischen Volk und Regime, als es darum ging, Beute zu machen. Erst im Inneren durch Entrechtung, Vertreibung, Denunziation und Arisierungen, dann in ganz Europa durch Eroberungen, Plünderungen und Massenmord. Die Jahre zwischen 1933 und 1945, das ist die Zeit der größten Vermögensumschichtung in der deutschen und der österreichischen Geschichte.

Diese Allianz aus Tätern hält bis zur letzten Minute. Mit Morden, Massakern, Todesmärschen direkt vor der Haustür braver Deutscher und Österreicher. Die davon nachher nichts geahnt, nichts gewusst haben wollen. Schwer zu glauben. Kaum zu glauben.

Doch auch Helmut Schmidt hat Zeit seines Lebens darauf beharrt, erst nach dem Krieg von den Verbrechen der Nazi erfahren zu haben. Vom vollen Ausmaß der Verbrechen. Der Wehrmachtsoffizier Schmidt, dem seine Vorgesetzten bescheinigen, im Sinne des Regimes ideologisch gefestigt zu sein. Woraus auch ihm, dem späteren deutschen Bundeskanzler, ein Vorwurf gemacht werden wird. Der Vorwurf, seine Biographie geschönt zu haben.

Das sind die Grautöne, die den Nachgeborenen so schwer zugänglich sind. Aus heutiger Sicht sind Licht und Schatten einfach auszumachen. Das war auch damals schon möglich. Nur eben nicht so einfach. Nicht, wenn man in einer Zeit aufwuchs, die von links bis rechts der Euthanasie, der Volksgesundheit, der Auslese das Wort sprach. Um zu Lorenz zurückzukehren.

Konrad Lorenz: Blick zurück ohne Bedauern (Foto ©Wikimedia/Max-Planck-Gesellschaft)

Konrad Lorenz: Blick zurück ohne Bedauern (Foto ©Wikimedia/Max-Planck-Gesellschaft)

Der hat leider nie klare Worte zu seiner Einlassung mit den Nazi gefunden. Er hat sich distanziert wo nötig und opportun. Er hat unterdessen seine Gedanken aus den 30er, 40er Jahren weitergesponnen, in die 60er, 70er und 80er Jahre hinein. Das ist, was an ihm tatsächlich irritiert.

Die Domestizierung der Haustiere ist ihm eine Verfallserscheinung, eine Degeneration. Eine, die auch auf den Menschen zutrifft, die seine Menschlichkeit bedroht. Während „Gangster“ sich „unbegrenzt und sorglos weiter reproduzieren“, zeige sich, dass „ethische Menschen nicht so viele Kinder haben“. Gegen die Überbevölkerung „hat die Menschheit nichts Vernünftiges unternommen. Man könnte daher eine gewisse Sympathie für AIDS bekommen“. Das alles ist Originalton Konrad Lorenz 1988. Das ist eine ungebrochene Kontinuität des Denkens seit den 30er Jahren. Das ist die dunkle Seite des Nobelpreisträgers. Das ist, was an ihm eigentlich unerträglich ist.

Aus gerade diesem Grund ist Lorenz so wichtig. Er bleibt einer, an dem man sich reiben kann, an dem man sich reiben muss. Seine Argumentation verfängt immer noch. Sie ist geradezu Stammtischallgemeingut. Sie feiert als „gesundes Volksempfinden“ fröhliche Urständ.

Lorenz die Ehrendoktorwürde abzuerkennen, dafür mag es gute Gründe geben. Sie allein an seinem Verhältnis zu den Nazi festzumachen, greift zu kurz. Die Jahre 33 bis 45 haben eine Vorgeschichte und eine Nachgeschichte. Es gälte, endlich auch die Kontinuitäten nach 45 zu betrachten. An den Universitäten, in der Politik, in der Wirtschaft, in Kunst und Kultur, in der Gesellschaft. Der Herr Lorenz ist auch in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Er entspricht vielmehr der Regel, ist ein Paradebeispiel.

Der Entzug durch die Universität Salzburg ist so gesehen eine vergebene Chance. Was hätte nicht alles durch eine intensive Beschäftigung mit den vielen Facetten Lorenz´, mit seiner Gedankenwelt und seiner Wirkmacht als populärer Forscher angestoßen werden können. Letztendlich ein besseres Verständnis unserer selbst.

So aber bleibt nur ein bürokratischer Akt. Ohne weiteren Erkenntnisgewinn. (fvk)

Uns bleibt immer noch Paris

Paris leuchtet wieder. Nein, es strahlt. Als Ort globalen Gemeinsinns im 21. Jahrhundert. © Unsplash/Christian Battaglia

Paris leuchtet wieder. Nein, es strahlt. Als Ort globalen Gemeinsinns im 21. Jahrhundert. © Unsplash/Christian Battaglia

Die Konferenz ist vorüber. Und alles ist anders. Vor zwei Wochen noch, zu Beginn des Weltklimagipfels, konstatieren vor allem die Medien, alles sei zu spät. Die globale Erwärmung zu sehr in Fahrt, als dass irgendetwas, als dass irgendwer noch etwas ändern könne. Die Weltgemeinschaft sei zu sehr uneins.

Paris, Stadt der Trauer. Verzagtheit als der gute Ton.

Und dann das Wunder an der Seine. Erstmals in der langen Geschichte der Klimagipfel einigen sich die Staaten auf gemeinsame Ziele, finden sich Nord und Süd, alte Industriestaaten und junge Schwellenländer auf einer Seite wieder. Mit einem ambitionierten Ziel: Die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken.

Erstmals verpflichten sich fast alle Staaten (die Ratifizierungsprozesse vorbehalten) auf dieses Ziel.

Nicht nur auf ein Ziel. Sie haben auch einen Fahrplan vereinbart: 2018 wird eine Konferenz die Ideen und Programme zur Reduktion der Emissionen stattfinden. Wird dieses Programm von 55 Prozent der Staaten oder von jenen Staaten, die für 55 Prozent der Emissionen verantwortlich zeichnen, angenommen, tritt Paris im Jahr 2020 verbindlich in Kraft.

2023 ist der nächste Punkt auf der Agenda. Wiederum ein Treffen. Wobei diesmal verbesserte Reduktionspläne vorgelegt werden sollen. Den reichen Staaten ist es in diesem Fall möglich, Hilfsmaßnahmen für ärmere Staaten vorzustellen – und in der Folge umzusetzen.

2028 sollen schließlich weitere Schritte zur Reduktion der CO2-Emissionen diskutiert und beschlossen werden.

Ob das 1,5 Grad-Ziel hält, das mag mit Fug und Recht bezweifelt werden. Was zählt, ist das Signal. Die Weltgemeinschaft anerkennt die Dringlichkeit. Sie weiß, dass Maßnahmen notwendig sind, dass sie gesetzt werden können. Es handelt sich um ein gemeinsames, um ein globales Programm.

Von nun an geht es nicht mehr um Schuldzuweisungen, um ein gegenseitiges Auf- und An- und Abrechnen. Es geht um Kooperation. Und damit auch um Vertrauen.

Am ehesten lässt sich Paris von seinen möglichen Auswirkungen mit dem Helsinki-Prozess der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in den 70er Jahren vergleichen. Dieser Prozess hatte letztendlich die Auflösung des Ost-West-Konflikts zur Folge. Das Ende des Kalten Krieges.

Somit ist Paris ein Wendepunkt. Wer immer die Ergebnisse dieses Zusammentreffens in Frage stellt, stellt sich außerhalb der Weltgemeinschaft. Einfach wird deswegen noch lang nichts. Aber: Erstmals im 21. Jahrhundert haben sich die Staaten dieser Welt aus freien Stücken auf ein gemeinsames Ziel, auf ein gemeinsames Unterfangen, auf ein akkordiertes Vorgehen geeinigt. In einer überlebenswichtigen Angelegenheit. Das stimmt optimistisch.

Denn von nun an heißt es – bei allen möglichen Differenzen – einmal mehr: Uns bleibt immer noch Paris. (fvk)

Die Klimakonferenz von Paris bleibt in Erinnerung. Auch wenn die Zeiten noch ruppig werden sollten. © MGM

Die Klimakonferenz von Paris bleibt in Erinnerung. Auch wenn die Zeiten noch ruppig werden sollten. © MGM


Wendelstein – ein Schritt zur Kernfusion

Vorbild: Fusionsreaktor Sonne ©  NASA/JPL-Caltech/GSFC/JAXA

Vorbild: Fusionsreaktor Sonne ©  NASA/JPL-Caltech/GSFC/JAXA

Wendelstein 7-X. Diese Bezeichnung könnte einem Hollywood-Streifen entstammen. Inhalt: Eine geheime Anlage zu Erforschung einer unendlichen Energiequelle. Wer sie beherrscht, beherrscht die Welt. Ein Film mit Schurken, Helden, angesiedelt in einem mittelalterlichen Gemäuer, Burg Wendelstein, irgendwo in deutschen Landen.

Mittelalterlich ist Wendelstein 7-X nun wirklich nicht und auch keine Burg. Schurken gibt es keine. Es geht denn auch nicht um die Erringung der Weltherrschaft, sondern darum, der Kernfusion einen großen Schritt näher zu kommen. Wendelstein 7-X ist eine Fusionsanlage des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik in Greifswald, Mecklenburg-Vorpommern.

Hier wird dieser Tage und Wochen Wissenschaftsgeschichte geschrieben. Denn in Wendelstein 7-X sollen die höchst komplexen Magnetfelder erforscht werden, die nötig sind, das heiße Plasma in Schwebe zu halten. Eine Grundvoraussetzung für die erfolgreiche und kontrollierte Kernfusion in einem Kraftwerk.

Am 10. Dezember erzeugte Wendelstein 7-X erstmals Plasma. Für die Dauer einer Zehntel-Sekunde. Bei einer Temperatur von rund einer Million Grad Celsius. Ein erster Erfolg auf einem langen Weg.

Die Kernfusion ist ein großes Versprechen. Sie hat das Potential, alle Energienöte der Welt ein für allemal zu lösen. Ein paar Gramm Wasserstoff genügen zum Betrieb eines Großkraftwerks. Oder, in konkreten Zahlen ausgedrückt: Ein Gramm Wasserstoff kann elf Tonnen Kohle ersetzen. In der Ausbeute der Energie. Emissionsfrei. So gut wie strahlungsfrei. Und sicher.

Plasma made in Wendelstein. 10. Dezember 2015 © IPP

Plasma made in Wendelstein. 10. Dezember 2015 © IPP

Die Sonne ist ein einziges großes Fusionskraftwerk. Ohne Unterlass fusionieren Wasserstoffatome zu Helium und setzen dabei Energie frei. Sie ist das Vorbild. Also müssen Zustände und Bedingungen erreicht werden, die jenen der Sonne entsprechen. Höchste Temperaturen, 100 Millionen Grad. Erst dann prallen in dem Plasma die Atomkerne so heftig aufeinander, dass sie verschmelzen. Kontrolliert und in Zaum gehalten  werden muss dieses Plasma von einem Magnetfeld.

Eine Herausforderung, die von vielen als Phantasterei abgetan wird. Seit Jahrzehnten wird an der Kernfusion geforscht und gearbeitet, einen funktionierenden Kernfusionsreaktor gibt es nach wie vor nicht. Verzögerungen sind an der Tagesordnung. Der europäischen Reaktor ITER in Frankreich hätte 2016 fertig sein sollen. Für 2025 wird seine Inbetriebnahme nun avisiert. Die Kosten werden sich verdreifachen. Voraussichtlich. Strom ins Stromnetz wird ITER nicht einspeisen. Das soll, so alles funktioniert, seinem Nachfolger vorbehalten bleiben, der ab 2040 gebaut werden soll.

ITER ist ein Tokamak-Reaktor. Mit einem entscheidenden Nachteil. Das Magnetfeld kann das Plasma nur für jeweils acht Minuten einschließen – dann ist erst einmal eine Pause angesagt. Wendelstein 7-X hingegen ist ein Stellarator-Reaktor. Die Magnetspulen erscheinen seltsam verformt und verbogen, haben indes das Potential, das Plasma länger und besser zu halten. 2020 soll eine halbe Stunde erreicht werden. Schritt für Schritt und quälend langsam nähern sich die Physiker dem großen Ziel, mittels des kontrollierten, künstlichen Sonnenfeuers die Energieprobleme dieser Welt zu lösen. Denn nichts weniger wäre mit der Kernfusion verbunden.

Das Plasmagefäß in der Konstruktion. Ein Hauch von Science Fiction © IPP/Wolfgang Filter

Das Plasmagefäß in der Konstruktion. Ein Hauch von Science Fiction © IPP/Wolfgang Filter

Deutsche Umweltschutzverbände indes laufen Sturm gegen Wendelstein 7-X und die neue Nukleartechnologie. Zu teuer sei sie, meinen sie. Vor allem aber käme sie zu spät. Bis aus Kernfusion Energie gewonnen werden kann, müsse ohnedies komplett auf emissionsfreie und erneuerbare Energien umgestellt sein. Die Finanzmittel für die Fusionsforschung wären andernorts besser investiert. Diese Argumente erinnern an jene, die vor 30 Jahren gegen Photovoltaik, Solar- und Windenergie vorgebracht wurden. Sie klingen alt. Und selbstgerecht. (fvk)

Glück und langes Leben

Wer glücklich ist, lebt länger. Ist doch einfach. Ist es nicht. Denn der Zusammenhang zwischen Glück und einem langen Leben stellt sich anders dar, als bislang behauptet.

Wer gesund ist, ist glücklicher. Foto © Ismael Nieto/unsplash.com

Wer gesund ist, ist glücklicher. Foto © Ismael Nieto/unsplash.com

Bisher galt obige Weisheit als gesichert. Bisher, denn nun stellt ein Forscherteam in einer zehn Jahre lang dauernden Untersuchung mit rund 720.000 Frauen Ursache (Glück) und Wirkung (langes Leben) in Abrede. Zumindest für Frauen. Für Frauen im Vereinigten Königreich. So die im „The Lancet“ publizierte Studie „Does happiness itself directly affect mortality?“.

Aber der Reihe nach.

Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass Ursache und Wirkung wohl falsch benannt wurden. Tatsache sei, dass Kranke und Menschen mit ungesunder Lebensweise häufiger unglücklich sind. Krankheit und Lebenswandel führen zu einem früheren Tod.

Eine in sich stimmige Erklärung.

Also: „Krankheit macht Menschen unglücklich. Aber Unzufriedenheit allein macht Menschen nicht krank“, hält Hauptautorin Bette Liu (University of New South Wales) fest.

So weit so klar.

Die Crux liegt nun im Detail. Denn die Studie kommt auch zu dem Schluss, dass, wer unzufrieden ist, eher trinkt und raucht. Nur, was zuerst gegeben ist, die Unzufriedenheit oder das Laster, darauf hat die Studie keine Antwort. Ein Henne-Ei-Dilemma.

Das ist ein wenig unbefriedigend. Und mit Sicherheit in Bälde schon Gegenstand weiterer Studien und Erörterungen.

Zudem kommt bei Männern eine andere umfassende Studie in ihrer Kernaussage glattweg zu einem gegenteiligen Ergebnis. Wenigstens für japanische Männer. Für die stimmt die Ursache Glück mit der Wirkung Gesundheit.

Fragt sich nur, wie wird Glück definiert? (fvk)

Klimakonferenz: Die machbaren Schritte

Road to Paris © Geoffrey Arduini

Road to Paris © Geoffrey Arduini

Paris und kein Ende. Es ist, als hätte die französische Hauptstadt heuer das Monopol auf Schreckensnachrichten gepachtet. Als wären die Terroranschläge nicht schrecklich genug, verlauten auch vom „Klimagipfel“ ausschließlich düstere und noch düstere Prognosen in Sachen Globaler Erwärmung.

In der FAZ resümiert Ulf von Rauchhaupt „Das wird nichts mehr“ und meint, nur noch ein Wunder könne uns jetzt noch retten. The Atlantic vermerkt „Earth´s Atmosphere Just Crossed an Epochal Threshold“ und allgemein verlautet, dass dem wärmsten Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen 1880 noch viele weitere, noch viel heißere folgen werden. Entsprechende Verwerfungen inklusive. Eine davon: Bürgerkriege. So ist derzeit die These, der Krieg in Syrien sei durch eine vierjährige Dürre ausgelöst worden durchaus populär und hat im ewigen britischen Thronfolger Prince Charles einen prominenten Verstärker. Gleichzeitig erstickt Bejing im Smog.

Untergangsstimmung allerorten.

Zu Unrecht.

Sicher, stoppen lässt sich der Klimawandel nicht so einfach und schon gar nicht von heute auf morgen. Retten wird man das Klima auch nicht können. Wohl aber darauf einwirken.

Darauf sollte man sich konzentrieren. Auf die machbaren Schritte. Denn die gibt es.

Eine machbare Lösung: Öffentlicher Verkehr und E-Mobility © Wiener Linien/Peter Strobl

Eine machbare Lösung: Öffentlicher Verkehr und E-Mobility © Wiener Linien/Peter Strobl

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat eine internationale Gruppe von Forschern (darunter David McCollum vom IIASA) in Science eine neue Studie veröffentlicht, die die Richtung weist. Bis 2050 können allein im Bereich des Verkehrs die CO2-Emissionen um die Hälfte verringert werden. Einsparungen dieser Größenordnung zögen einen effizienteren Treibstoffverbrauch nach sich, ebenso eine Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs in Städten sowie ein deutlicher Zuwachs von elektrisch getriebenen Autos.

Momentan trägt der Verkehr zu 23 Prozent, fast einem Viertel, zu den weltweiten CO2-Emissionen bei. Die Experten des IPCC rechnen aufgrund der Entwicklung in China, Indien und Südost-Asien mit einer Verdoppelung des Ausstoßes bis 2050.

Für den Science-Artikel haben die Forscher zum einen den fünften Assessment Report des IPCC herangezogen und mit neuen und detailierteren Daten zum Mobilitätsverhalten der Menschen kombiniert.

Lead-Autor Felix Creutzig (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change, MCC) erklärt „Elektromobilität im großen Stil und Umfang kann maßgeblich zur einer Reduktion der Emissionen um 50 Prozent bis 2050 beitragen.“ Denn „Effizienzsteigerungen allein bei den konventionellen Motoren sind nur schwer zu erreichen.“ Die einzige Option verbleibt der Umstieg auf CO2-neutrale Antriebe. Dank sinkender Kosten für Batterien und dem zusätzlichen Angebot brennstoffzellenbetriebener Autos eine realistische Option.

David McCollum vom IIASA hat für die Studie Elektromobilität, städtischen Verkehr und Verhaltensänderungen untersucht. „Übernehmen wir die Best-Practice-Beispiele, die wir weltweit finden, können wir das vorhandene Einsparungspotential deutlich besser nutzen“, so McCollum. Freilich: „Geht es darum, den Verkehrssektor tatsächlich in Richtung Klimaschutz zu verändern, dann haben sich die politisch Verantwortlichen weltweit sehr zurückhaltend gezeigt.“ (fvk)

Palmyra. Ein Nachruf

August/September 2015. Was bleibt, ist Erinnerung. Sind Fotos, Pläne, eine Ahnung. Was bleibt, ist Zerstörung. In Palmyra sprengen die Fundamentalisten des „Islamischen Staates“ den Baal-Tempel, den Baalschamin-Tempel, Grabtürme der Nekropole. Sie enthaupten Khaleed Asaad, den Chefarchäologen, schänden seinen Leichnam, stellen ihn zur Schau. Genüsslich verbreiten sie die Bilder ihres Treibens. Und wahrscheinlich verhökern sie was immer ihnen an antiken Schätzen in die Hände gelangt auf dem internationalen Schwarzmarkt. Was bleibt, ist das Grauen.

Palmyra im Morgenlicht. Foto: Adsy Bernart

Palmyra im Morgenlicht. Foto: Adsy Bernart

August 1993. Ein alter Mann kommt uns entgegen. Sein Esel ist beladen mit Granatäpfeln. Als wir auf gleicher Höhe sind, begrüßt er uns. Wir können kein Arabisch. Er kann kein Englisch. Einerlei. Die Grußformel ist uns bekannt. Wir grüßen zurück. Führen die rechte Hand an unsere linke Brust. Der Alte greift in seinen Korb, holt zwei Granatäpfel hervor, überreicht sie uns. Willkommen in Palmyra. 

Es ist ein Privileg, diese antike Metropole besucht zu haben. Früh am Morgen, noch ehe die Sonne alles in gleißendes Licht hüllt, wenn die Farben noch frisch sind, durch die Straßen der Stadt zu spazieren. Vorbei an Säulen und Kolonnaden, zu Tempeln und Theatern. Ungestört, zeitvergessen.

Palmyra war einst ein Drehkreuz des Handels und des Austauschs zwischen Ost und West. Zwischen der römischen Welt und jener der Parther. Eine stolze Stadt. Eine Meisterin der Schaukelpolitik. Einmal freundlich mit Rom, dann wieder mit den Parthern. Stets auf den eigenen Vorteil bedacht.

Bis Königin Zenobia, hofiert von Rom, ihre Chance auf noch mehr Macht und Einfluss wahrnehmen will und angreift. Von einem Reich träumt, das bis Ägypten reicht und darüber hinaus. Mit ihr als Herrscherin und Palmyra als dem Mittelpunkt des Reichs. Das kann und will Rom nicht dulden. Das Imperium macht kurzen Prozess und entsendet seine Truppen. Nichts kann Zenobia retten. Nicht die Lage in der Wüste, nicht ihre Kamelreiter, nicht ihre Bogenschützen.

Wandmalerei in einem der Grabtürme der Nekropole von Palmyra. Foto: Adsy Bernart

Wandmalerei in einem der Grabtürme der Nekropole von Palmyra. Foto: Adsy Bernart

Palmyra fällt. Zenobia wird gefangen und zur Legende. Allein, Palmyra ist nicht Karthago, wird nicht zerstört. Im Gegenteil. Es bleibt eine Metropole des Austauschs. Nicht nur des wirtschaftlichen. Hier treffen wie kaum sonst wo die Kulturen des Westens und des Osten aufeinander. Sie existieren nebeneinander. Miteinander. Sie schaffen Neues.

Es muss grandios gewesen sein, kam man aus der Wüste zu dieser Stadt. Erst das Grün der Oase, wogende Palmen. Dann die Mauern, die Tore und Türme der Stadt. Das pralle Leben in den Straßen. Das Rufen der Händler, das Stimmengewirr auf den Märkten. Die perfekte Antithese zur Wüste. Bis die Weihrauchstraße als Handelsroute an Bedeutung verliert.

Selbst im Niedergang bewahrt Palmyra seine Würde. Sein Glück mag sein, dass es zusehends abseits liegt. Von geringer Bedeutung für Christen und Muslime. Allenfalls Steinbruch für Festungswerke. Ansonsten vergessen.

Ein Glück für die Welt. Kaum wo ist eine antike Metropole so gut erhalten wie hier. Kaum wo ist so viel zu finden, zu sehen, zu erahnen und zu spüren. Menschheitserbe.

Tempelanlage in Palmyra. Foto: Adsy Bernart

Tempelanlage in Palmyra. Foto: Adsy Bernart

Es gehört zur Perfidie des Assad-Regimes ausgerechnet hier, in der Oase Tadmor, einen seiner schlimmsten Folterkerker einzurichten. Im Abseits gleichsam. Und doch im Angesicht der Kultur. Blanker Hohn.

Was Wunder, dass die religiösen Fanatiker nun doppelt Rache nehmen. Schon mit den Zerstörungen von Mossul und Nimrud im Irak war klar, welche Gefahr Palmyra droht. Eine Gefahr, die das Regime durchaus billigend in Kauf nimmt. Mit jeder Sprengung antiker Anlagen, mit jedem Mord an Archäologen durch die Schergen des „IS“ gewinnt Bashar al Assad ein klein wenig an internationaler Reputation zurück. Palmyra, ein Bauernopfer im syrischen Bürgerkrieg. Nicht das einzige. Von den Menschen ganz zu schweigen. (fvk)

Die Fotos des Wiener Fotografen Adsy Bernart wurden im August 1993 in Palmyra aufgenommen. Mehr zur Arbeit und Person Bernarts: www.adsyphoto.com

Wurstfabriken und das Wesen des Wissens

Was haben eine Wurstfabrik und eine Universität gemein? Auf den ersten Blick nichts. Falsch, meint Berthold Wigger, Finanzwissenschaftler am Karlsruher Institut für Technologie. Sie werden beide nach denselben wirtschaftlichen Grundsätzen geführt. Mit dem Ziel einer möglichst hohen Produktion und Produktivität.

In seinem Artikel „Wissensfabriken sind keine Wurstfabriken“ in der FAZ vom 22. Juli formuliert Wigger unter anderem: „Die Idee der unternehmerischen Universität orientiert sich an Organisationsformen aus dem produzierenden Gewerbe. Sie geht davon aus, dass sich eine Universität ähnlich wie ein Automobilunternehmen oder eine Lebensmittelfabrik organisieren lässt. Hätte es bei der Suche nach Vorbildern nicht näher gelegen, sich an Anbietern aus dem privatwirtschaftlichen Bildungs- und Wissenssektors zu orientieren? Vielleicht wäre dann aufgefallen, dass Ingenieurbüros, Ärztegemeinschaften oder Anwaltskanzleien eher dezentrale Organisationsformen aufweisen, dass sie von ,Peers‘ geführt werden, also von Experten auf dem jeweiligen Gebiet, und dass die Aussicht, zu dieser Gruppe zu gehören, einen starken Anreiz bietet, Expertenwissen zu erwerben. Vielleicht hätte man auch bemerkt, dass private Dienstleister im Bildungs- und Wissensbereich eher partnerschaftliche organisiert sind und nicht hierarchisch-zentral wie Produktionsunternehmen.“

Das ist keine Wurstfabrik (Foto: Universität Wien)

Das ist keine Wurstfabrik (Foto: Universität Wien)

Das ist dann ja tatsächlich einmal ein anderer Ansatz zu einem neuen Umgang mit den Universitäten. Eine Frage freilich beantwortet Wigger nicht. Die aber will ebenso dringend geklärt werden: Was ist denn eine Universität? Ganz grundsätzlich betrachtet. Was macht sie aus? Was ist ihr Wesenskern? Was darf von ihr erwartet werden, was muss ihr an Rahmenbedingungen garantiert werden?

Derzeit soll eine Uni alles sein: Ein Ort der Bildung und des Wissens für so viele Menschen als möglich – womit sie an Kapazitätsgrenzen stößt. Sie soll als Ort der Forschung für Innovationen innerhalb der Wirtschaft sorgen, sie soll Exzellenz bieten. Sie soll sozialen Aufstieg ermöglichen. Sie soll ein Motor gesellschaftlicher Diskussionen und Debatten sein. Sie soll reibungslos funktionieren. Sie soll Wissenschaft und Forschung einem breiten Publikum näher bringen. Im Idealfall soll sie sie dafür begeistern. Vor allem aber soll sie nichts kosten.

Das alles wird von einer Wurstfabrik, wird von einem Automobilproduzenten nicht verlangt. Auch nicht von Rechtsanwaltskanzleien oder Ärztegemeinschaften.

In Wien werden derzeit die Jubiläen dreier Universitäten gefeiert. 650 Jahre Uni Wien, 250 Jahre Veterinärmedizinische und 200 Jahre Technische Universität. Daran ist nichts falsch. Jubeljahre dürfen, ja müssen zelebriert werden. Auch um die vielfältigen Leistungen der Universitäten einem weiter gefassten Publikum zu vermitteln.

Und das ist keine Würstelbude. (Foto: Universität Wien)

Und das ist keine Würstelbude. (Foto: Universität Wien)

Nur sollten diese Feste auch zukunftsgewandt genutzt werden. Um eben die Frage nach der Rolle und Stellenwert der Universitäten heute und morgen zu beantworten.

Die Fragen des „Wer sind wir?“ und „Wohin gehen wir?“ sind alles andere als banal. Es sind Grundsatzfragen, die nach einer intensiven Debatte verlangen. Nach einer Auseinandersetzung, an deren Schluss ein frisches Modell der Universität stehen könnte. Als neuer Freiraum der Forschung, Wissenschaft und Lehre. Als Ort, der tieferes Denken zulässt, ja fordert und fördert. Als Institution, deren Aufgabe es durchaus ist, gegen den Strich zu bürsten. Als Hochschule, deren Zweck und Ziel sich nicht darin bemisst, innerhalb möglichst kurzer Zeit Absolventen zu „produzieren“, sondern Qualität vor Quantität zu setzen

Die Feierlichkeiten neigen sich ihrem Ende zu. Jetzt sollte, jetzt könnte, jetzt müsste der nächste Schritt gesetzt werden: Das Wesen der Universität zu definieren. Und davon ausgehend ihre Aufgaben für Wissenschaft, Forschung, Lehre und die Gesellschaft – und die Rahmenbedingungen, die sie dafür benötigt. Auf lange Sicht. (fvk)

Nashörner: Gold wert

Ein kleines goldenes Nashorn. Das war gleichsam das Symbol für die „afrikanische Renaissance“, die vor 20 Jahren vom damaligen südafrikanischen Vizepräsidenten Thabo Mbeki ausgerufen wurde. Nach dem Ende der Apartheid zwischen Kap und Limpopo sollte Afrika als Ganzes durchstarten.

Das kleine goldene Nashorn war in Mapungubwe gefunden worden. Einer Ausgrabungsstätte im Norden Südafrikas; einer Vorläuferzivilisation der „Great Zimbabwe Culture“. Ein doppelt sinnträchtiges Bild.

Das goldene Nashorn von Mapungubwe. (Foto: University of Pretoria)

Das goldene Nashorn von Mapungubwe. (Foto: University of Pretoria)

Nicht nur im Hinblick auf den kulturellen Reichtum des Kontinents, sondern auch in Hinblick auf die Nashörner. Lebten vor 100 Jahren gerade noch rund 25 Breitmaulnashörner in KwaZuluNatal als die letzten ihrer Art, so war ihr Bestand durch gezielte Programme in Hluhluwe-Umfolozi auf über 25.000 Tiere angestiegen. Fast jedes Rhinozeros dieser Art in Afrika stammt somit aus dem Süden Afrikas. Eine gute Nachricht.

Weitere sollten folgen. Nelson Mandela begeisterte sich für die Idee des „Peace Parks“, eines sichelförmigen Verbunds aus Nationalparks und Reservaten, der sich grenzüberschreitend von Südafrika über Swaziland, Mosambik und Simbabwe bis nach Botswana erstrecken sollte. Um der afrikanischen Tierwelt Raum zum Wandern und zur Ausbreitung zu garantieren.

Nelson Mandela ist im Dezember 2013 verstorben. Thabo Mbeki ist längst nicht mehr in der Politik. Von der afrikanischen Renaissance ist keine Rede mehr. Eher vom wachsenden ökonomischen (und politischen) Einfluss Chinas. Und vom immer rasanteren Abschlachten der Nashörner in Südafrika. Allein 2014 fielen mehr als 1.100 Tiere den Wilderern zum Opfer. Heuer waren es bis Ende April rund 400.

Breitmaulnashorn in einem Schutzgebiet (Foto: FvK)

Breitmaulnashorn in einem Schutzgebiet (Foto: FvK)

In einer Studie zeichnet nun eine Forschergruppe um Nikkita Patel von der veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Pennsylvania die globalen illegalen Handelsrouten von Rhino-Horn, Elfenbein und Tigerteilen nach. Als Schlüsselländer wurden China und Thailand identifiziert. Im Nashorn-Netzwerk spielen Südafrika, Mosambik, Vietnam und Großbritannien eine wesentliche Rolle. Bei Elfenbein sind es Kenia, Vietnam, die USA sowie Hongkong.

Zum Vergrößern klicken. Die aktuellen illegalen Handelswege (Grafik: Nikkita Patel)

Gelänge es, so die Forscher, die Schlüsselländer aus dem weltweiten Netzwerk zu entfernen, würden 90 Prozent der Lieferungen an Rhinohorn und Elfenbein  ihr Ziel nicht erreichen, im Fall der Tigerknochen und –felle wären es sogar 98 Prozent. Also fordern die Autoren Informationskampagnen, die sich auf die Schlüsselländer konzentrieren.

Zum Vergrößern klicken.Die Handelswege ohne Schlüsselländer (Grafik: Nikkita Pattel)

Die Kampagnen gibt es. Sie laufen seit Jahren schon. In China, in Vietnam, in Thailand. Der Kampf um die Nashörner und Elefanten bestimmt einen Gutteil des öffentlichen Diskurses in Südafrika und anderen afrikanischen Ländern. Anti-Poaching-Units, zusammengesetzt aus Freiwilligen, patrouillieren in Reservaten, Fluglinien wie South African Airways verweigern den Transport von Tiertrophäen, Konzerne zahlen Geländewägen, Nachtsichtgeräte und Wachhunde.

Im Gebiet des Krüger Nationalparks, hart an der Grenze zu Mosambik, ist nächtens das schlappende Knattern der Militärhelikopter zu hören. In den Medien ist regelmäßig von Toten im Kampf gegen die Wilderei zu lesen. Dennoch steigen die Zahlen der hingeschlachteten Nashörner und Elefanten.

Zeugen des Rhinowars in Swaziland (Foto: FvK)

Zeugen des Rhinowars in Swaziland (Foto: FvK)

„Armut lässt sich nicht mit Informationskampagnen beseitigen“, sagt Ted Reilly. Reilly hat in den späten 80er und frühen 90er Jahren in Swasiland den Rhinokrieg erlebt. An vorderster Front. Reillys Familie gehören die Reservate Mlilwane und Mkhaya, wo Zuchtprogramme für gefährdete Arten laufen. Auch für Nashörner.

In Swasiland war es ein harter Kampf gegen die Korruption auf allen Ebenen des Staates. Kaum ein Land verhängt derzeit höhere Strafen als das Königreich – welches deswegen von Menschenrechtsaktivisten auch kritisiert wird.

Armut führt zu Korruption, sagt Reilly. Es geht immer um Geld. Um Geld und um die Möglichkeiten, die es einem bietet. Und für eine kleine Information, für ein Wegschauen schon gibt es Geld. Es ist so einfach, so unverfänglich, so verlockend.

Foto: FvK

Foto: FvK

Also ist der wichtigste Schritt im Kampf um den Erhalt von Elefanten und Nashörnern in Afrika, der Kampf gegen die Korruption. In den Justizapparaten, unter Veterinärmedizinern, innerhalb von Militär und Polizei, auf der Ebene der Politik, so Reilly.

Wenn das funktioniert, die vorhandenen Gelder tatsächlich für den Schutz der Tiere eingesetzt werden, dann könnte es möglich sein, einen kontrollierten Handel mit Rhinohorn zuzulassen. Ein Thema für die kommende CITES-Konferenz 2016. In Johannesburg. (FvK)

Philae – Eine perfekte Geschichte

Sie ist erwacht! Philae, die kühlschrankgroße Landungssonde auf dem Kometen Tschuri kommuniziert wieder. Das sind Headlinenews. In Europa und den USA. Und auch andernorts, wenn vielleicht auch nicht gar so groß aufgemacht.

Einerlei. Philae sendet wieder. Die Hoffnung der ESA-Experten, dass die Sonde nach der holprigen Landung im Schatten durch die zunehmende Nähe zur Sonne wieder aktiv wird, hat sich erfüllt. Ein Erfolg, keine Frage.

Aber noch etwas mehr.

Die Geschichte von Rosetta und Philae ist ein Glücksfall. Nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht.

Artwork: ESA/ATG medialab

Artwork: ESA/ATG medialab

Da ist ein Forschungsprojekt, das die Menschen zu fesseln vermag. Es geht um die Weiten des Weltalls (immer populär). Es geht um die unglaubliche Leistung auf einem Kometen zu landen (spektakulär). Es geht um „Lebenszeichen“ (das rührt das Herz). Und genau das ist der Punkt. Die Geschichte von Rosetta und Philae, das ist seit November eine Geschichte mit Emotion.

Die ESA hat das früh erkannt. Über ihre Zeichentrickfilme mag man geteilter Meinung sein, aber sie greifen genau diesen Erzählstrang auf. Da ist Rosetta, gleichsam als Mutter. Da ist Philae, das Kind, das den großen Sprung wagt. Den Sprung in das Unbekannte.

Unversehens findet man sich wieder in einer Geschichtenstruktur, die wohl so alt ist wie die Menschheit. Aufbruch, Abschied, Ungewissheit, glückliches Ende.

Foto: ESA/Rosetta/MPS for OSIRIS Team MPS/UPD/LAM/IAA/SSO/INTA/UPM/DASP/IDA 

Foto: ESA/Rosetta/MPS for OSIRIS Team MPS/UPD/LAM/IAA/SSO/INTA/UPM/DASP/IDA 

Nicht einmal der Umstand, dass es sich hier nun eigentlich nur um Maschinen handelt, tut dem Abbruch. Wir erleben sie gleichsam als unsere Verlängerung. Wir erkunden durch sie das All. Wir erleben durch sie Abenteuer. Wir wagen uns durch sie in Bereiche vor, in die kein Mensch sich ad personam vorwagen könnte.

Diese Emotion war bereits am 12. November, am Tag der Landung Philaes, spürbar. Einerlei ob in der ESA-Zentrale in Darmstadt, im vom Institut für Weltraumforschung angemieteten Annenkino in Graz oder im Festsaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien, die Stunden bis zur Bestätigung der Landung wurden von einem bangenden, hingerissenen, gebannten Publikum verfolgt. Der Erfolg aus ganzem Herzen bejubelt (siehe Video)

Artwork: ESA

Artwork: ESA

Seither ist Philae vielen ein Begriff. Als ein Teil von uns, irgendwo dort draußen. Als „good news“, die gerne aufgenommen, gehört, weitererzählt werden. Als „good news“, die in Zeiten wie diesen ohnedies zu spärlich gesät sind.

Und siehe da, es sind die Wissenschaften, die für gute Nachrichten sorgen. Es sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die uns ein großes Abenteuer erzählen. Es ist die gemeinsame europäische Anstrengung, die ein solches Projekt überhaupt erst ermöglicht hat.

In dieser emotionalen Komponente liegt die Stärke der Erzählung rund um Philae und Rosetta. Die Wissenschaften haben viele starke Geschichten zu erzählen. Diese hier kann mit Fug und Recht als beispielhaft gelten. (fvk)

 


AI – Das größte Ereignis

Da wäre also eine superintelligente Büroklammermaschine. Eine Maschine, darauf programmiert, so viele Büroklammern herzustellen wie nur irgend möglich. Das ist ihre Aufgabe, das ist alles was sie antreibt. Sagt Nick Bostrom und führt weiter aus: „Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Maschine funktionsfähig bleiben. Das weiß sie. Also wird sie um jeden Preis verhindern, dass Menschen sie ausschalten. Sie wird alles tun, um ihre Energiezufuhr zu sichern. Und sie wird wachsen – und selbst dann nicht aufhören, wenn sie die Menschheit, die Erde und die Milchstraße zu Büroklammern verarbeitet hat. Das ergibt sich logisch aus ihrer Zielvorgabe, die sie nicht hinterfragt, sondern bestmöglich erfüllt.“

Nun ist Nick Bostrom Direktor des „Institute for the Future of Humanity“ an der Oxford University und befasst sich mit der Frage, was passiert, wenn Computer klüger werden? Was, wenn eine künstliche Superintelligenz zu einem Sicherheitsrisiko wird? Darüber sinniert Bostrom in einem Interview mit ZEIT Campus (hier) und bringt die eingangs erwähnte Büroklammermaschine ins Spiel.

Als ganz einfaches Beispiel einer der vielen Gefahren, die der Menschheit drohen können.

Dabei ist Bostrom nicht a priori ein Gegner der Artificial Intelligence. Er sieht ihr Potential. Die Möglichkeit, mit ihrer Hilfe große Probleme zu lösen. Armut, Krankheit, Krieg.

Will die Auswirkungen von Artificial Intelligence diskutiert wissen: Stephen Hawking(Foto: Nasa)

Will die Auswirkungen von Artificial Intelligence diskutiert wissen: Stephen Hawking
(Foto: Nasa)

Aber er vertraut ihr nicht. Genauer gesagt, er vertraut den Menschen, den Programmierern, den Softwareentwicklern nicht. Er fürchtet, dass die Konsequenzen nicht bedacht werden, die sich aus immer schnelleren, immer leistungsfähigeren Computern ergeben, aus lernfähigen Programmen.

Letztendlich sieht er nur zwei plausible Zukunftsvarianten: Den Untergang der Menschheit. Oder das Paradies. Ein Dazwischen sieht er nicht.

Am liebsten wäre es Bostrom, man legte eine Pause ein. Eine Entwicklungspause (das hat Erwin Chargaff auch schon einmal gefordert, in Zusammenhang mit der Gentechnologie, vor über 20 Jahren).

Des einen Dystopie ist des anderen Utopie. Auftritt Martine Rothblatt.

Auf der Digitalkonferenz „South by Southwest“ in Austin im heurigen März erst proklamierte sie: „Die Menschen haben die Freiheit, Dinge zu erschaffen. Wir können es nicht illegal machen, neue Formen des Bewusstsein zu entwickeln.“ In ihrer Vision einer Zukunft werden durch Artificial Intelligence digitale Repliken von Menschen geschaffen. Repliken, die über ein Bewusstsein verfügen.

Dazu erstrebt sie eine Welt, in der der Tod nur noch eine Möglichkeit ist. Eine Welt, in der der Menschheit ein schier endloser Nachschub an Organen gesichert ist.

Rothblatt, derzeit die höchst bezahlte Vorstandsvorsitzende in den USA, hat schon eine Roboterversion ihrer Frau bauen lassen. Primitiv zwar, aber, so Rothblatt, fähig, Unterhaltungen zu führen und Emotionen zu äußern. An der Sache mit dem Organnachschub arbeitet sie ebenfalls. In diesem Fall mit einer Schweinefarm, in der die Tiere durch genetische Manipulationen zum Ersatzteillager für den Menschen werden. Erste Schritte nur. Schlussendlich sollen 3-D-Drucker durch Stammzellen in der Lage sein, immer neue Organe zu produzieren. Zum Zwecke unendlichen Lebens. Und hält der Körper wirklich nicht mehr durch, sollen digitale Reproduktionen von Menschen geschaffen werden. „Bewusstseins-Klone“ mit Persönlichkeit.

Will Entwicklung ohne Grenzen: Martine Rothblatt(Foto: Woofhull Sexual Freedom Alliancederivative work/CC CY-SA 3.= via Wikimedia Commons)

Will Entwicklung ohne Grenzen: Martine Rothblatt
(Foto: Woofhull Sexual Freedom Alliancederivative work/CC CY-SA 3.= via Wikimedia Commons)

In den USA werden Rothblatts Visionen schon diskutiert. Durchaus kontrovers. In der Online-Ausgabe des Magazins „The Atlantic“ setzt sich dieser Tage Conor Friedersdorf mit den Konsequenzen des Transfers einer Persönlichkeit, eines Bewusstseins, auf einen nicht-biologischen Träger auseinander (hier). Mit dieser Möglichkeit rechnet etwa Ray Kurzweil, ein enger Vertrauter und Freund Rothblatts bis zum Jahr 2045. Durch und durch zukunftsfroh.

Friedersdorf nun überlegt, was die Möglichkeit, ein Bewusstsein zu speichern, für das US-amerikanische Justizsystem bedeutet. Wie geht man mit dem Bewusstsein eines zu 150 Jahren verurteilten Mörders um? Isoliert man es? Enthält man ihm Informationen über die „Welt da draußen“ vor? Und was tut man nach dem Verbüßen der Strafe? Fragen, die sich Kurzweil oder Rothblatt zumindest nicht in der Öffentlichkeit stellen.

Irrelevant? Science Fiction? Die Stimmen jener, die diese Entwicklung offen diskutiert, nach moralischen Erwägungen behandelt wissen wollen, werden mehr. Yuval Noah Harari plädiert in seiner „Kurzen Geschichte Der Menschheit“ vehement dafür, dass die Gesellschaft sich für diese Entwicklungen und die möglichen Konsequenzen interessiert. Auch Stephen Hawking, Bill Gates und Elon Musk hegen Bedenken.

„Die Computer werden mit ihrer künstlichen Intelligenz irgendwann in den nächsten hundert Jahren den Menschen übertreffen“, konstatiert Hawking. „Das wird das größte Ereignis in der Geschichte der Menschheit werden – und möglicherweise auch das letzte.“

Nein, Hawking erhebt keine prinzipiellen Einwände gegen künstliche Intelligenz. Auch er sieht die Chancen, die Möglichkeiten im Einsatz gegen Hunger, Krankheit, Armut und Umweltzerstörung. Er sieht dennoch die Begehrlichkeiten des Militärs Kampfmaschinen mit künstlicher Intelligenz auszustatten. Mit einer Intelligenz, die sich dann möglicherweise nicht mehr beherrschen lässt.

Dagegen will er Barrieren errichten. Jetzt. Nicht erst in hundert Jahren.

Eröffnet ist die Diskussion schon längst. Jetzt gilt es sie zu führen. Und bitte jenseits der Kategorien „Untergang“ oder „Paradies“. (fvk) 

Eine kurze Geschichte der Menschheit

„Vor rund 13,5 Milliarden Jahren entstanden Materie, Energie, Raum und Zeit in einem Ereignis namens Urknall. Die Geschichte dieser grundlegenden Eigenschaften unseres Universums nennen wir Physik.

Etwa 300.000 Jahre später verbanden sich Materie und Energie zu komplexeren Strukturen namens Atome, die sich wiederum zu Molekülen zusammenschlossen. Die Geschichte der Atome, Moleküle und ihrer Reaktionen nennen wir Chemie.

Vor 3.8 Milliarden Jahren begannen auf einem Planeten namens Erde bestimmte Moleküle, sich zu besonders großen und komplexen Strukturen zu verbinden, die wir als Organismen bezeichnen. Die Geschichte dieser Organismen nennen wir Biologie.

Und vor gut 70.000 Jahren begannen Organismen der Art Homo sapiens mit dem Aufbau von noch komplexeren Strukturen namens Kulturen. Die Entwicklung dieser Kulturen nennen wir Geschichte.“

So beginnt der israelische Universalhistoriker Yuval Noah Harari seine „Kurze Geschichte der Menschheit“. Kurz, prägnant, pointiert. Und eigentlich ungewöhnlich.

Rekonstruiert: Homo sapiens bei der Arbeit. Einst.

Rekonstruiert: Homo sapiens bei der Arbeit. Einst.

Folgen andere Werke zur Geschichte der Menschheit unweigerlich dem Aufstieg und Fall von Imperien, den Einflüssen von Zivilisationen und Kulturen, dem Wirken einflussreicher Personen, so folgt Harari dem Einfluss der Biologie, der DNA, der Sprache, des Mythos, des Geldes und letztendlich der Wissenschaft.

Zweimal nur taucht das Habsburger Reich auf. Glück hingegen kommt zehnmal vor, einmal im Zentrum einer essentiellen Frage. Stalin, Churchill, Roosevelt? Fehlanzeige. Dafür aber Karl Marx. Oder auch Adam Smith. Zwei Persönlichkeiten, deren Denken unser heutiges Denken grundlegend beeinflusst. Und dies nicht nur in Europa, sondern weltweit.

Harari der Universalhistoriker spürt unserer Vergangenheit nach. Den Brüchen, die uns zu dem werden ließen, was wir heute sind.

„Die Geschichte der menschlichen Kulturen wurden von drei großen Revolutionen geprägt. Die kognitive Revolution vor etwa 70.000 Jahren brachte die Geschichte überhaupt erst in Gang. Die landwirtschaftliche Revolution vor und 12.000 Jahren beschleunigte sie. Und die wissenschaftliche Revolution, die vor knapp 500 Jahren ihren Anfang nahm, könnte das Ende der Geschichte und der Beginn von etwas völlig Neuem sein.“

Es ist nun wirklich keine Heldensaga, die Harari verfasst. Wenngleich er die Geschichte unserer Art spannend erzählt. Spannend und fesselnd. Schnell und präzise. Der Historiker als großer Geschichtenerzähler.

Ikone: Homo sapiens (in diesem Fall Ed White) bei der Arbeit. 1965.

Ikone: Homo sapiens (in diesem Fall Ed White) bei der Arbeit. 1965.

Dazu zieht er sich auf einen Beobachterposten zurück. Er beschreibt aus der Distanz.

Professionell, zweifelsohne. Ein Standard geradezu für Historiker. In diesem Fall indes noch mehr.

Indem Harari ein paar Schritte zurückweicht, indem er das große Ganze zu umfassen versucht, weitet er den Blick seiner Leser. Nicht nur in Hinblick auf unsere nächste Verwandtschaft unter den Lebewesen.

Auch in Hinblick auf die Zukunft.

Seit geraumer Zeit werden Historiker immer öfter zu gegenwärtigen Problemlagen befragt. Zum Konflikt in der Ukraine. Zum Vormarsch fundamentalistischer Ideologien. Zur Komplexität der Gegenwart.

Denn wer, wenn nicht die Historiker, sollte in der Lage sein, den roten Faden zu erkennen, das Geschehen einordnen zu können, wenn sie es schon nicht erklären können. Historiker bieten Orientierung.

Yuval Noah Harari geht einen Schritt weiter. Er drängt sein Publikum geradezu, sich mit den aktuellen Entwicklungen der Wissenschaft zu befassen. Mit Bionik, mit Artificial Intelligence, mit Genetik.

Er sieht die Möglichkeiten, die sich heute und in absehbarer Zukunft bieten. Zur Optimierung unserer Körper beispielsweise. Er hört Visionäre wie Ray Kurzweil, die von der Verbindung Mensch-Maschine schwärmen. Er weiß nicht, wohin die Reise geht, aber er kennt den Homo sapiens. Er weiß, wie beiläufig sich Revolutionen ankündigen können. Und so skizziert Harari am Ende seines Buches das Ende der Geschichte. Des Homo sapiens, wie wir ihn kennen, wie wir sind. (fvk)

 

Yuval Noah Harari
Sapiens – A Brief History of Humankind
Random House/Vintage Books/Harvill Secker 2014

Eine kurze Geschichte der Menschheit
Random House/DVA 2015

Yuval Noah Harari Webpräsenz