Internet der Dinge

Digitaler Humanismus

Das Internet der Dinge, das ist die Zukunft. So heißt es. Manch einem wird angesichts dieser von einer künstlichen Intelligenz geprägten Zukunft mulmig. Warnende Stimmen von Nick Bostrom bis hin zu Stephen Hawking häufen sich. Peter Reichl setzt dem das „Internet of People“ entgegen. Reichl ist Informatiker und leitet die Forschungsgruppe Cooperative Systems (COSY) an der Fakultät für Informatik der Universität Wien. Er ist sozusagen inmitten des Geschehens.

© Universität Wien

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„Im Prinzip plädieren wir mit der Idee eines Internet of People für einen grundlegenden Paradigmenwechsel in den Informations- und Kommunikationstechnologien“, sagt Reichl in einem Interview mit uni:view. Die Technologie soll nicht mehr Selbstzweck sein, sondern nur für die Endnutzer da sein, „um sie bei der Erfüllung ihrer wirklichen Bedürfnisse zu unterstützen. Noch plakativer formuliert: Statt weiterhin um Technologie und ihre Versprechen zu kreisen, bis ihm schwindlig wird, kehrt der Mensch zurück ins Zentrum des technologischen Universums“, erklärt er.

Das nennt er dann die „Anti-kopernikanische Wende“.

Ein kühner Begriff. Einer, der wohl bewusst auf Aufmerksamkeit hin angelegt ist. Die kopernikanische Wende, die Erkenntnis, dass die Erde sich nicht im Zentrum des Universums befindet, hat das Ihre zur Renaissance und letztlich zur dieser Monate vielzitierten Aufklärung beigetragen.

Jetzt will ein Informatiker wieder den Menschen in den Mittelpunkt eines Universums stellen. Des digitalen Universums.

„Für uns bedeutet das, dass Technologie nicht entwickelt wird, um Dinge mit Dingen zu verbinden, sondern Menschen mit Menschen“, so wie Reichl das sagt, klingt es nach einer Binsenweisheit. Einfacher und billiger freilich ist es, Industriestandards und Normen zu entwickeln und ihnen folgend zu produzieren. Einfacher und billiger, als individuell auf die Bedürfnisse der einzelnen Nutzer einzugehen. Exakt daran arbeitet die Gruppe um Reichl. Indem sie Endnutzer mit verschiedenen Angeboten unterschiedlicher Qualität konfrontiert. Die Einblicke, die gewonnen werden, „können dann in weiterer Folge beispielsweise bei einem Internet Service Provider genutzt werden, um ein besonders userfreundliches Angebot zu schaffen, das sich von der Konkurrenz abhebt.“

Damit allein ist eine „Anti-kopernikanische Wende“ nicht zu bewerkstelligen. Es soll, es muss nicht nur die Technologie und ihr Einsatz, ihr Angebot überdacht und in Frage gestellt werden, mindestens ebenso dringend müssen sich die Nutzer, muss sich die Gesellschaft intensiv mit den Folgen allgegenwärtiger digitaler Kommunikation und Information auseinandersetzen.

Peter Reichl (Screenshot)

Peter Reichl (Screenshot)

Bequem ist sie ja durchaus. So bequem, dass man verleitet sein könnte, das Denken an die „Maschine“ abzutreten. Da sie schneller denkt, schneller Lösungsvorschläge bei der Hand hat. Weil man ihr eine Intelligenz zuschreibt, die höher zu sein scheint als die menschliche. Schneller ist sie auf jeden Fall. Andere Qualitäten menschlichen Denkens fehlen der auf Algorithmen aufgebauten Intelligenz.

Daniel Kahneman schreibt in diesem Zusammenhang vom „schnellen“ und vom „langsamen“ Denken unseres Gehirns. Das schnelle, welches wir im Alltag, für alltägliche Verrichtungen, für die Routine einsetzen. Aufbauend auf Erfahrung und Mustern, von daher auch sehr sparsam in Sachen Energieverbrauch.

Das langsame Denken hingegen ist jenes, mit welchem wir Aufgaben lösen. Mathematische Probleme bearbeiten, es ist jene Art des Denkens, die uns unversehens zu neuen Erkenntnissen verhilft, auch dazu jenseits gewohnter Bahnen zu denken. Sein Nachteil ist, es ist eine höchst energieaufwendige Arbeit. Eine, die unser Gehirn tunlichst zu vermeiden sucht.

Das mag ein Grund dafür sein, dass unsere Spezies es sich wieder und wieder bequem macht – und andere für sich denken lässt. Einerlei ob Religionen, Ideologen oder auch eine Künstliche Intelligenz. Schneller als uns lieb ist, befinden wir uns dann in der „selbst verschuldeten Unmündigkeit“, die Immanuel Kant 1784 in der „Berlinischen Monatsschrift“ behandelte. Es lohnt, an dieser Stelle den Königsberger Philosophen ein wenig ausführlicher zu Wort kommen zu lassen: „Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist die Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen, dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt und so weiter, so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen.“

Es braucht also eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten, Angeboten und Aufgaben der Digitalisierung. Eine Herkulesaufgabe sei es, meint Reichl. Es brauche „vor allem auch eine grundlegende Diskussion darüber, wie diese neue informationsgetriebene Umwelt mit der menschlichen Lebenswelt zusammenhängt“.

Eine Debatte, die, so der Wissenschaftler, gerade von der Wissenschaft vorangetrieben werden müsse. „Die Wissenschaft muss zuallererst einmal ehrlich zu sich selbst sein und versuchen, in einer ruhigen Minute einen Schritt zurück zu treten, um die gesellschaftlichen Auswirkungen ihres Tuns – und Lassens – kritisch zu hinterfragen.

Gerade die Informatik muss sich als Fach viel stärker in die Pflicht nehmen und reflektieren, was man da eigentlich zu und was das bedeutet. Ihr geht es heute genauso wie der Physik mit der Atombombe oder der Biologie mit dem ersten Klonschaf: Im Zuge des digitalen Wandel sind wir momentan dabei, eine entscheidende Grenze zu überschreiten.“

Trotzalledem, verloren ist nichts. Reichl sieht die Chancen auf eine Zukunft, geprägt von einem „digitalen Humanismus“, intakt. (fvk)

 

 

Das zitierte Interview mit Peter Reichl erschien im Rahmen der Uni-Wien „Semesterfrage 2016/17: Wie leben wir in der digitalen Zukunft?“. Jedes Semester behandeln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Uni eine Frage, ein Thema, welches die Gesellschaft betrifft. Im Sommersemester lautet die Frage „Wie verändert Migration Europa?“.