Lesen

Der Pferde kognitive Kompetenz

Der „Kluge Hans“ war eine Nummer. Eine große und erfolgreiche – im Varieté. Vor allem. Dort beantwortete das Pferd Rechenaufgaben, indem es mit den Hufen das Ergebnis klopfte. Während sein Besitzer und Trainer Wilhelm von Osten stolz war auf sein kluges Tier und für die Zurschaustellung Geld einnahm.

Amos©FvK.jpg

Stimmt ja gar nicht, das Pferd kann nicht rechnen, wurde schließlich von gelehrter Seite im Auftrag der Preußischen Akademie der Wissenschaften festgestellt. Es beobachte vielmehr seinen Lehrmeister, erkenne an ihm, an seiner Körpersprache, an seinen unbewussten Zeichen, wann es aufhören müsse zu klopfen. Mithin: Kein rechnendes Pferd, keine Sensation.

Das war vor über 100 Jahren. Seither haben andere Tiere die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, genauer gesagt ihre kognitiven Fähigkeiten. Hunde, Raben, Ratten, Schweine, Goffin-Kakadus, von Schimpansen, Bonobos, Orang-Utans und Gorillas gar nicht erst zu reden. Das Pferd indes, welches Homo sapiens so eng verbunden ist wie sonst nur der Hund und beinahe so lange, das Pferd verblieb im Schatten der wissenschaftlichen Betrachtung.

Bis jetzt binnen eines Jahres nur die kognitiven Fähigkeiten des Einhufers vor den Vorhang gebeten werden. Pferde können menschliche Gesichtsausdrücke lesen; Pferde können mittels Symbolen mit Menschen kommunizieren; Pferde können den Wissenstand ihrer Menschen einschätzen und aktiv um Hilfe bitten.

Die Kraft der Anekdote

Wissen wir, sagen Pferdemenschen. Wissen wir doch immer schon. Und dann beginnen sie zu erzählen, reihen Anekdote an Anekdote, die in Summe stets darauf hinaus laufen, dass ihre Vierbeiner klug sind. Mindestens. Wenn nicht sogar intelligent.

Nun ist das mit der Intelligenz so eine Sache. Homo sapiens misst sie, wertet sie, wertet sich selbst anhand ihrer schieren Existenz (und zweifelt bei Gelegenheit ihr Vorkommen bei seinen Mitmenschen an).

Ich denke, also bin ich. Dieses Diktum definiert den Menschen. Hat ihn definiert, denn was René Descartes so wortmächtig wie prägnant formulierte, wird in seinem Absolutheitsanspruch zusehends in Zweifel gezogen. Das Verhältnis zu den Tieren dieses Planeten hat es freilich maßgeblich geprägt. So wie der biblische Spruch, dass dem Menschen die Erde untertan sei.

Es haben diese Gewissheiten den Menschen auch einen Vorteil verschafft. Das Tier (so wie lange Zeit, und das nur nebenbei, auch Frauen und Kinder) verfügt über keine Intelligenz. Die ist dem Menschen (lange Zeit dem Mann) vorbehalten. Es ist eine Kreatur, der man Empathie entgegenbringen kann, von der man weiß, dass sie nichts weiß, dass sie trainiert werden kann, abgerichtet, eingesetzt. Dieser Zugang erleichtert vieles, er macht die Welt wunderbar einfach und simpel und Homo sapiens zur Krone der Schöpfung.

Wären da nicht diese Anekdoten. Nicht nur von klugen Pferden und Hunden, auch von erinnerungsstarken Elefanten, von trauernden Hunden, von gewitzten Papageien. Anekdoten, die Wissenschaftler und Forscher dazu bringen, sich doch mit ihren Mitlebewesen auseinanderzusetzen, die Anekdoten zu überprüfen.

Anekdoten seit Anbeginn der Partnerschaft

Anekdoten seit Anbeginn der Partnerschaft

Also wissen wir, und dieses Wissen basiert auf Fakten, auf wieder und wieder überprüften Experimenten, dass Hunde beispielsweise ihre Menschen verstehen, dass sie sogar – passiv – über einen gewissen Wortschatz verfügen, dessen Bedeutung sie einzuschätzen wissen. Wir wissen, dass Vögel wie Raben in der Lage sind, sich in andere Raben hineinzuversetzen, einzuschätzen, was die anderen sehen und daraus Schlüsse für das eigene Verhalten zu ziehen. Wir wissen inzwischen sogar, dass Goffin-Kakadus bereit sind, eine Nuss, die sie im Schnabel haben, gegen eine größere Nuss einzutauschen. Von wegen, lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.

Und jetzt das Pferd.

Gesichtserkennung

Im Februar 2016 publizieren Amy Victoria Smith Leanne Proops, Kate Grounds, Jennifer Wathan und Karen McComb ihre Studie „Functionally relevant responses to human facial expressions of emotions in the domestic horse (Equus caballus)“ in den Biology Letters der Royal Society. Die Wissenschaftlerinnen der University of Sussex weisen darin nach, dass Pferde menschliche Mimik gut einzuschätzen wissen.

In der Untersuchung wurden den Pferden Fotos ihnen unbekannter Männer aus einem Meter Entfernung gezeigt. Einmal wütende Männer. Das andere Mal freundliche Männer.

Beim Anblick grantiger Gesichter stieg die Herzfrequenz der Tiere schnell und deutlich an. Und – die Pferde bewegten ihren Kopf, um das Bild besser mit dem linken Auge betrachten zu können. Darin stimmen die Pferde mit anderen Arten wie Hunden überein, bei denen nachgewiesen wurde, dass sie negative Dinge eher mit dem linken Auge fokussieren.

Auf lächelnde Gesichter hingegen reagierten die Probanden kaum. Sie sind harmlos. Im Sinne des Wortes. Offenbar, so die Autorinnen, sei es für das Fluchttier wichtiger, Gefahren rechtzeitig zu erkennen.

Wer beobachtet hier wen?

Wer beobachtet hier wen?

Dass Pferde indes überhaupt in der Lage sind, eine menschliche Emotion an der Mimik zu ersehen, ist bemerkenswert, belegt ist dieses artenübergreifende Erkennen bisher nur noch beim Hund. Andererseits, und das geben auch die Forscherinnen zu bedenken, kommunizieren Pferde untereinander wesentlich über ihre Mimik. Sie sind darin geradezu Meister.

Konsequenzen ziehen

Im November 2016 publizieren die norwegischen Forscher Cecilie M. Meidel, Turid Buvik, Grete H. M. Jørgensen und Knut E. Bøe im Journal „Applied Animal Behavior Science“ ihre Studie „Horses can learn to use symbols to communicate their preferences“.

In anderen Jahren wäre das eine Sensation gewesen, Headline News, Gesprächsstoff an Stammtischen und für das Feuilleton. 2016 war in dieser Hinsicht etwas anders. Es dominierten die 140-Zeichen Nachrichten eines (erfolgreichen) US-Präsidentschaftskandidaten.

Zurück zu den Pferden. Die Wissenschaftler brachten ihren Probanden bei, mittels dreier verschiedener Symbole anzuzeigen, ob sie eine Decke haben wollten oder nicht. Binnen zweier Wochen waren die Tiere in der Lage, ihre Vorlieben klar mitzuteilen. War das Wetter warm, nutzten die eingedeckten Pferde das Symbol für „Decke ab“, während jene ohne Decke keine Änderung wollten. Bei kaltem oder kühlem Wetter hingegen verlangten die „nackten“ Pferde nach der Decke, während jene, die schon eine hatten, damit zufrieden waren. Das Forscherteam kommt in seiner Studie zu dem Schluss, dass die Pferde mithin die Konsequenzen ihrer Entscheidung erkennen können.

Weiß Konsequenzen einzuschätzen

Weiß Konsequenzen einzuschätzen

Bislang läuft die Kommunikation zwischen Mensch und Pferd eingleisig. Homo sapiens gibt verbal über Zeichen oder durch Körpereinwirkung Befehle, Equus caballus reagiert wie trainiert. Nun zeigt sich, dass das Pferd ebenfalls in der Lage ist, zielgerichtet und mit Hilfe von Symbolen seine Bedürfnisse, seine Wünsche zu äußern.

Hilfsersuchen

Ebenfalls im November publiziert ein Team um Monamie Ringhofer und Shinya Yamamoto von der Universität Kobe eine weitere Studie zur kognitiven Leistungsfähigkeit der Pferde: „Domestic horses send signals to humans when they face with an unsolvable task“ in der Zeitschrift „Animal Cognition“.

Dabei gingen die Forscher von einer Alltagssituation in Ställen und auf Koppeln aus. Sie platzierten Kübel mit Karotten außer Reich- aber in Sichtweite der Pferde. Und diese taten, was sie – anekdotenhaft tausendfach wahrgenommen und erzählt – tun: Sie näherten sich einem Menschen, stupsten ihn, suchten Blickkontakt. Sie wiesen ihn in aller gebotenen Dringlichkeit auf die Karotten hin.

Blickkontakt und freundliche Hinweise

Blickkontakt und freundliche Hinweise

Damit nicht genug. Die Pferde erkannten auch, ob der Mensch, den sie um Beistand baten, wusste, wo die Karotten sind oder nicht. In letzterem Fall agierten sie mit ihren Hinweisen deutlich intensiver als in Ersterem. Kurz, sie wussten den Kenntnisstand des Menschen richtig einzuschätzen.

Eine Leistung, die bei Menschenaffen wiederholt festgestellt wurde. Bei Pferden bisher noch nicht.

Übereinstimmend kommen die Forschergruppen zu dem Schluss, dass die kognitiven Leistungen der Pferde zum einen auf ihrer hochentwickelten sozialen Struktur beruhen. Als Herdentiere, deren Überleben vom Zusammenhalt innerhalb der Gruppe und also von Kooperation abhängt, müssen sie in der Lage sein, ihre Kompagnons richtig einzuschätzen. Als enger Begleiter des Menschen haben sie zudem, wie die Hunde, im Laufe der Jahrtausende Wissen über ihre menschlichen Partner erworben, welches gleichsam a prirori abrufbar ist. Sie haben sich auf uns eingestellt.

Und, auch darin besteht Einigkeit zwischen den Wissenschaftlern, es ist ein lohnendes Ziel, die kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten der Pferde weiter und intensiver zu untersuchen und zu erforschen. Auf dass der „Dialog“ zwischen Mensch und Pferd erweitert und vertieft wird. Evidenzbasiert. Nicht nur anekdotenhaft. (fvk)

Verstehen, eine Chance

Verstehen, eine Chance

Post scriptum:

Wilhelm von Osten wollte ein Pferd, das rechnen kann. Dass es ihn und seine Köpersprache las, war ihm nicht genug. Von Osten starb 1909. Der „Kluge Hans“ ging an Karl Krall, der ein psychologisches Laboratorium mit elf Pferden, zwei Eseln, einem Pony und einem Elefanten eingerichtet hatte. 1912 veröffentlichte er sein Buch „Denkende Tiere“. 1916 wurden der „Kluge Hans“ und die anderen Pferde des Laboratoriums zum Kriegsdienst für „Gott, Kaiser und Vaterland“ eingezogen. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt. Man kann es sich vorstellen.