Badenikrise

Politik auf dem Spielplan

„Das Interessante ist“, sagt Christian Glanz, „dass ausgerechnet in Wien, in Österreich des 19. Jahrhunderts auf die Oper als Mittel politischer Kommunikation verzichtet worden ist.“ Zu einer Zeit, in der Verdi in Italien und Wagner in Deutschland klangmächtig Visionen beschreiben, herrscht in Wien seltsame schöpferische Stille. Die Hofoper lebt, aber sie schöpft aus dem Repertoire Mozarts, Glucks und der italienischen Komponisten. Und der Kaiser findet ohnedies lediglich am Radetzky-Marsch Gefallen.

Hofoper im Winter 1917                                      &nbs…

Hofoper im Winter 1917                                            ©Hugo Heikenwälder/commons wikimedia.com

Eine politische Geschichte der Oper in Wien 1869 bis 1955“, auf diesen Titel lautet das vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte Projekt unter der Leitung von Christian Glanz am Institut für Analyse, Theorie und Geschichte der Musik an der Universität für Musik und darstellende Kunst. „Das Jahr 1869 ist in Wien eines der letzten Jahre, in denen die Liberalen die tonangebende politische Kraft waren. Das Ausscheiden aus dem Deutschen Bund ist drei Jahre her, der Ausgleich mit Ungarn zwei Jahre. Und bis zu Börsenkrach und Cholera sind es noch vier Jahre hin“ schildert Glanz den Ausgangspunkt. Vor allem ist 1869 das Jahr, in dem die Hofoper etabliert wird.

„Die Grundannahme war“, so Glanz, „dass sich gesellschaftliche und politische Ereignisse und Entwicklungen auch in der Institution spiegeln.“ Die Oper als Seismograph, sozusagen. „Wobei wir klar festhalten müssen, dass es hier keine Push-and-Pull-Situation gibt“, fügt Glanz hinzu. Nicht jedes politische Ereignis hat unmittelbar Auswirkungen auf das Haus am Ring. Viel öfter sind es Mentalitäten, die sich festhalten lassen, Entwicklungen im Vorfeld politischer Ereignisse. Textänderungen, um ein Werk doch zur Aufführung zu bringen. Versuche, im Hintergrund Einfluss auszuüben, am deutlichsten anhand der illegalen nationalsozialistischen Betriebszellen in den 30-er Jahren zu sehen.

In fünf Phasen unterteilt untersucht das Projekt die „Ringstraßenkultur“ der 1870er Jahre, das Jahr 1897, die Oper der Ersten Republik, in Zeiten der Diktatur sowie die Entnazifizierung und den Wiederaufbau. Und jeweils die Wechselwirkungen zwischen Alltagsgeschehen und Aufführungen anhand ausgesuchter Beispiele. „Die zweite Phase war ursprünglich auf den Zeitraum zwischen 1892 mit der Wiener Musik- und Theaterausstellung und dem Jahr 1907 und der Einführung des Allgemeinen Wahlrechts für Männer gedacht“, schildert Glanz. Eine im Sinne des Wortes dichte Zeit. So dicht an zentralen Ereignissen und Materialien, dass dieser Abschnitt auf eine Aufführung und ein einziges Jahr fokussiert.

Karrikatur zur Badenikrise 1897            © Gustav Brandt/Kladderatatsch/commons wikimedia.com

Karrikatur zur Badenikrise 1897            © Gustav Brandt/Kladderatatsch/commons wikimedia.com

1897 ist dichtgepackt: Karl Lueger wird Bürgermeister von Wien und mit ihm etablieren sich Massenparteien und Populismus pur; „Alt-Wien“ wird gegen „Neu-Wien“ in Stellung gebracht; die autochthone Wiener „Kultur von Grund“ wird als Antithese zur höfischen Hochkultur propagiert; im Reichsrat bringt Ministerpräsident Kasimir Felix Badeni seine Sprachverordnungen für Böhmen und Mähren ein was prompt zu Straßenschlachten sowie zu einer Staatskrise führt und – Gustav Mahler wird zum Hofoperndirektor berufen.

Der nun setzt als seine erste Premiere am 4. Oktober 1897, des Kaisers Namenstag, Friedrich SmetanasDalibor“ aufs Programm. Ein Stück, dessen Protagonist sich gegen König, Adel und Polen stellt und die Bauern unterstützt. Künstlerisch ein Erfolg und von der Kritik wohlwollend aufgenommen, politisch eine Erregung. Medial getragen und verbreitet durch das „Deutsche Volksblatt“, die „Deutsche Zeitung“ und die „Reichswehr“, die darin eine „Versklavung der Hofoper“ erkennen will. Tamara Ehs, die im Bericht das „Schlüsseljahr 1897“ behandelt, hält fest: „Sollte es (Dalibor) ein politischer Akt gewesen sein, so nahm sich Mahler kurz darauf jedoch wieder zurück; denn er hatte zu Saisonbeginn auch die Aufführung von Smetanas ,Libuse‘ angekündigt, aufgrund der entstandenen Polemik und Angriffe schließlich aber nicht verwirklicht.“

Es ist die Hofoper, auch unter Mahlers Leitung, eben eine Hofoper. Finanziert aus der Privatschatulle des Kaisers, mehr Ornament als Ort der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Die verlagert sich auf andere Felder. Dennoch erwächst ausgerechnet diesem kaiserlichen Schmuckstück in der Ersten Republik eine neue Aufgabe. Nunmehr als Staatsoper bezeichnet, soll sie getragen durch einen überparteilichen Konsens von der Weltgeltung Wiens und Österreichs in allen Belangen der Musik künden. Daran ändern auch tagespolitische Erregungen um das Ballett „Schlagobers“ und „Jonny spielt auf“ nichts. Vielmehr erweitert die Oper ihren Raum, indem sie eine Partnerschaft mit den Salzburger Festspielen eingeht – und es den wechselnden Bundesregierungen bis in die Zeit des Austrofaschismus ermöglicht, Salzburg gleichsam an die Kandare Österreichs zu nehmen. Kontrolle zu bewahren.

„Interessant ist auch wie die Oper nach 1945 positioniert wurde“, meint Glanz. „Der Wiederaufbau des Gebäudes wurde von offizieller Seite mit dem Wiederaufbau Österreichs gleichgesetzt. In den USA wurden Gelder dafür mit dem Argument, dass sie Österreich von Deutschland abgrenze, eingeworben.“ Die Oper als symbolbeladenes Ornament. Die Ergebnisse des Projektes, so Glanz, werden 2019 in ein Buch zum 150-Jahr-Jubiläum der Staatsoper einfließen. Damit sie in Zeit und Gesellschaft verortet werden kann. (fvk)

 

Dieser Artikel ist am 20.02.2017 auf der FWF-Plattform Scilog erschienen.