Afrika

Peter Beard – Ein Leben

Ich ging nach Tsavo zurück. Ich fotografierte Veruschka – für das englische Magazin Queen – in ihrem Schlangenledertrikot aus Blow-Up, dabei stand sie im Stumpf eines Baobabbaums, den verhungernde Elefanten völlig ausgefressen hatten.“ – „Schöne Frauen vor dem Hintergrund Afrika zu fotografieren und ,schöne‘ Bestien als Requisiten zu verwenden, meinst du nicht, das könnte man auch billig nennen?“ – „Das kriege ich ständig zu hören.“ – „Und was antwortest du darauf?“ – „Es bringt mich zum Stöhnen. Ich stöhne einfach nur laut auf. Ich glaube, dass ich als inzwischen ziemlich kultivierter Parasit auf diesem Gebiet beides tun kann – extreme Schönheit ist nun mal extreme Schönheit. Veruschka war eine meiner liebsten lebenden Skulpturen und ganz nebenbei bemerkt: ein Meisterwerk in ihren Maßen und ihrer Schönheit.“ So Peter Beard im Gespräch mit dem Schriftsteller und Herausgeber Steven M.L. Aronson. Nachzulesen in der vom TASCHEN Verlag dieser Tage publizierten Neuauflage von „Peter Beard“.

Veruschka © Peter Beard

Veruschka © Peter Beard

Dieser Peter H. Beard hat das Bild Afrikas zumindest in der westlichen Welt geprägt, mehr und nachhaltiger als es Forschungsreisende, Kolonialisten und Großwildjäger, Künstler und Schriftsteller vor ihm vermochten. Denn er war alles das, in unterschiedlichen Schattierungen. Vor allem war er ein großer Liebender, dem Kontinent verfallen und ein Zeitzeuge des Wandels von der kolonialen in die postkoloniale Epoche. Davon legte er Zeugnis ab. In Wort und Schrift und in aller Vehemenz durch seine Bilder, als Photograph.

Dabei war Beard nicht nur Chronist einer Zeitenwende, die er dokumentierte und kommentierte, er hat sie, in Maßen, mitgestaltet. Und auf diese Weise en passant Afrika interpretiert. Eine Interpretation, die, wenigstens in Europa und den USA, nach wie vor Geltung hat.

Peter H. Beard also, Spross einer wohlhabenden, einer reichen amerikanischen Familie. Ostküstenaristokratie aus altem Geld. Man darf ihn sich als jungen Mann sportlich vorstellen, von blendendem Aussehen, eloquent, in vielem begabt und mit dem entsprechenden Selbstbewusstsein ausgestattet. Geradezu prädestiniert für ein Leben im Jet Set der sechziger Jahre.

Dann passiert ihm Afrika. Ostafrika, um etwas genauer zu sein. Tsavo, um präzise zu sein.

Ein Ort, an sich schon von grandioser Schönheit, regelrecht aufgeladen mit Legenden und Mythen auf Basis wahrer Begebenheiten.  In Tsavo war es, wo J.H. Patterson den Geist und die Dunkelheit, die beiden menschenfressenden Löwen, erlegte. Ein Kampf auf Leben und Tod. Antik in seiner Anmutung. Legendär bis heute. Karen Blixen war hier, so wie Denys Finch-Hatton, all die legendären Gestalten des kolonialen Britisch Ostafrika, verewigt in „Out of Africa“. Ein Brennpunkt Afrikas, geschichtenmächtig und wild und schön.

1955, gerade 17 Jahre alt, gelangt Peter Beard das erste Mal nach Kenya, wo er die letzten der Großwildjäger kennen lernt und mit ihnen auf Jagd geht. Von da an lässt ihn Afrika nicht mehr los. Er kehrt in die USA zurück, er studiert, er reist wieder nach Kenya, er reist nach Dänemark und lernt Karen Blixen kennen, die er an Finch-Hatton erinnert. Ein Türöffner. 1963 erscheint sein erstes Buch, „The End of the Game“. Ein Klassiker.

Ein Abgesang auf eine Welt, die verschwindet. Das wilde Afrika und seine Tiere. Beard hält alles fest, in dynamischen Bildern, romantisch zum einen, schonungslos ehrlich zum anderen. Seine Fotostrecke ausgebleichter Elefantenknochen und Skelette konterkariert die Eleganz der untergegangenen Epoche, ist ein Aufschrei, Flora und Fauna des Kontinents zu retten. Und in all dem doch zu allererst ein Kunstwerk.

Elephant in Front of Kilimanjaro © Peter Berad

Elephant in Front of Kilimanjaro © Peter Berad

Afrika, Ostafrika, Kenya wird ihm zum Material, aus dem er schöpft. Unermüdlich. Er bearbeitet seine Bilder und Tagebuchseiten akribisch und mit bedingungsloser Hingabe, er schafft Collagen, inszeniert Welten von grandioser Spannung. Sehnsuchtsorte.

Es ist nun nicht so, dass Beard einem kreativen Eremiten gleich im afrikanischen Busch gelebt hätte um seine Bilder in großen Collagen einzufassen. Ganz im Gegenteil. Er verkehrt freundschaftlich mit Salvador Dali, Pablo Picasso, Jackie Kennedy, Andy Warhol, Francis Bacon, Truman Capote und den Stones. Er fotografiert für die Vogue, spielt in Filmen mit, dreht Filme, reist nach Frankreich, Griechenland, ist in den Clubs von New York City ebenso zu Hause wie auf Ausstellungen und sichert sich in Montauk, im Staat New York, ein dramatisch gelegenes Stück Land mit Klippen, gegen die der Atlantik brandet, mit einem Blick, der sich in die Unendlichkeit weitet.

Vor allem aber sichert er sich sein ganz persönliches Stück Afrika, seine Bühne. „Ich kaufte 18 Hektar Wildnis – mit rein gar nichts drauf – gegenüber von den Ngong Hills und Karen Blixens alter Kaffeeplantage […]  Hog Ranch war die größte Show der Welt – dort gab es alles zu sehen, von Warzenschweinen und Schirrantilopen bis hin zu Giraffen und Löwen.“ Von hier aus sammelt er unermüdlich weiter, Bilder, Eindrücke, Menschen und vereint sie in seinen Tagebüchern und Collagen. Und, er verschreibt sich der „Preservation“ der afrikanischen Wildnis, die er eben nicht konserviert sehen will, sondern bewahrt und also gemanagt, so dass sie im Angesicht sich immer schneller ändernder Bedingungen bestehen kann. So wird er zu einem Advokaten des Cullings, des gezielten Abschusses von Tieren, um ihre Bestandsgrößen in einer verträglichen Relation zum verfügbaren Land zu halten. Ein Zugang, der heute in weiten Teilen Afrikas praktiziert wird (sehr zum Verdruss zahlreicher europäischer und amerikanischer Naturschützer).

Reflections on Natural History, Lake Rudolf © Peter Beard

Reflections on Natural History, Lake Rudolf © Peter Beard

So modern Beard in dieser Frage agiert, so romantisch gerät ihm sein Afrikabild. Er zelebriert vorzugsweise in Schwarz-Weiß und einer Unzahl feinster Grautöne, wieder und wieder vermischt  mit seinem Blut, eine Welt, die so nicht mehr ist, die so nie war und eben aus diesem Grund umso wirkmächtiger ist, als Leinwand, auf die Wünsche projiziert werden.

Aronson spricht in dieser Hinsicht einen gewichtigen Punkt an, den Beard unumwunden ehrlich beantwortet. Es geht ihm, es ging ihm, zeitlebens um extreme Schönheit. Was immer er dokumentiert, ist letztendlich sein Blick, seine Wahrnehmung, sein Afrika. Wohl auch eine Sehnsucht, die Afrika bei vielen seiner Besucher auslöst. Der Sehnsucht nach einem Garten Eden, einer idealen Welt. Beard hatte das Privileg, sich diese Welt gestalten zu können. Allen Anfechtungen und Unglücksfällen, die er so intensiv wie sein Glück er- und durchlebt hat, zum Trotz. Er hat dieses Privileg bis zur Neige ausgekostet und sein Publikum daran teilhaben lassen. „Peter Beard“, das Buch, ist mithin ein Geschenk, ein Glücksfall und ein Vermächtnis.

Peter Beard ist im April verstorben. In Montauk, USA. Fern von Afrika. (fksk)

beard_xl_int_3d_44650_2002031450_id_1296869.jpg

Peter Beard

Peter Beard, Nejma Beard
TASCHEN Verlag, 2020

Hardcover, 25,8 x 37,4 cm, 700 Seiten
€ 100,–

Afrikanische Perspektiven

Es ist, aus europäischer Warte, eine klare Sache und Afrika ein taumelnder, ein stürzender, ein brandgefährlicher Kontinent. Tummelplatz maßloser Diktatoren, Schauplatz unzähliger archaischer und blutiger Konflikte, Ursprung einer alle Dimensionen sprengenden Migrationsbewegung. Vielleicht sogar, für manche sicher, das Ende Europas.

Es gibt, so viel Ausgewogenheit muss sein, auch noch eine zweite Variante europäischer Sichtweise auf Afrika. In dieser ist der Kontinent Heimstatt einer einzigartigen Flora und Fauna, die die Afrikaner nicht in der Lage sind zu bewahren, weswegen es europäischer Unterweisung bedarf.

Und, es wird die Klage laut, die Afrikaner verkauften sich, ach was verkaufen, sie würfen sich China bedenkenlos an die Brust, nähmen sehenden Auges (und gegen viel Bares) eine zweite Kolonisation in Kauf. Diesmal eben durch Fernost. Das schmerzt die Europäer, denn sie meinen es nur gut mit Afrika, dem verlorenen Kontinent. Wenn doch nur die Afrikaner endlich die guten Intentionen Europas verstünden.

Wenn doch nur die Afrikaner endlich die guten Intentionen Europas verstünden.  © Trevor Cole / Unsplash.com

Wenn doch nur die Afrikaner endlich die guten Intentionen Europas verstünden.
© Trevor Cole / Unsplash.com

Es ist das Verhältnis zwischen Europa und Afrika tatsächlich schwierig. Nicht nur der Vergangenheit wegen. Es ist schwierig, eben aus dem Grund, dass sich die Sicht des Nordens auf den Süden nur wenig geändert hat im Laufe der Jahrzehnte. Diese Perspektive besagt, dass den Afrikanern geholfen werden muss. In der wirtschaftlichen Entwicklung, im Aufbau von Strukturen und Infrastrukturen, in letztlich allen Belangen von Bedeutung. Diese Perspektive fokussiert beharrlich auf das Bild eines ruralen Afrika, auf staubige Hütten am Rande noch staubigerer Straßen, auf große, leidende Kinderaugen, auf Armut und Zukunftslosigkeit. Hier gilt es Brunnen zu bohren, Ziegen zu verschenken, kleine Werkstätten zu etablieren und zu unterrichten.

Ausgespart bleibt das Leben in Luanda, der angolanischen Hauptstadt, einer der teuersten Metropolen der Welt. Modern, pulsierend, im Aufbruch. Ausgespart bleiben Städte wie Nairobi (es sei denn, es geht um die Slums) oder Maputo, ausgespart bleiben Johannesburg (es sei denn, man braucht ein Beispiel zur Illustration von Kriminalität) und Durban.

Kommen in Europas Sicht nicht vor, die afrikanischen Metropolen. © Marlin Jackson / Unsplash.com

Kommen in Europas Sicht nicht vor, die afrikanischen Metropolen. © Marlin Jackson / Unsplash.com

Ausgespart bleiben die Errungenschaften vieler afrikanischen Gesellschaften und Staaten seit 1989. Denn, auch das wird von Europa aus kaum und nur sehr am Rande wahrgenommen, mit dem Ende des Kalten Krieges gehen die Stellvertreterkriege der Blöcke in Afrika zu Ende. Während in Europa Vaclav Havel als Symbol eines neues Zeitalters gefeiert wird und Bill Clinton dazu auf dem Saxophon die amerikanische Begleitmusik gibt, fallen in Afrika die Diktatoren. In Malawi wie in Sambia etablieren sich demokratische Regime, der Bürgerkrieg in Mosambik endet in einem vorerst fragilen Frieden so wie jener in Angola. In Tansania und in Kenia entwickeln sich demokratische Oppositionskräfte, Wahlen werden zu Wahlen. Machtwechsel demokratischer Natur finden statt.

Europa blickt unterdessen begeistert auf Südafrika und Nelson Mandela. Und entgeistert auf den Genozid in Ruanda. Später dann auf Simbabwe und seinen altersstarren Präsidenten Mugabe. Da werden dann doch wieder Stimmen laut in Europa, die fragen, ob der Kolonialismus denn in der Tat so schlecht gewesen wäre.

Mehr ist nicht. Wenigstens nicht viel mehr.

Entwicklungen, die Europa zu verschlafen droht. © Benny Jackson / Unsplash.com

Entwicklungen, die Europa zu verschlafen droht. © Benny Jackson / Unsplash.com

Dieser Tage hat der US-amerikanische Think Tank Brookings Institution ein paar Zahlen, Daten und Fakten zu Afrika zusammengefasst. Sie skizzieren eine Entwicklung in Afrika, die Europa schlichtweg zu verschlafen droht.

Seit 2015, so die Autoren des Beitrags, Landry Signé und Ameenah Gurib-Fakim, zählte Afrika mehr als 27 Machtwechsel durch demokratische Wahlen, Staaten wie Mauritius, Botswana, Kap Verde, Namibia und Ghana gelten als politisch stabile, demokratische Länder, andere wie Südafrika, Sambia, Malawi und Äthiopien als aufstrebende Demokratien.

Seit dem Jahr 2000 ist in 34 Staaten, in denen 72 Prozent aller Afrikaner leben, die verantwortungsbewusste Regierungsführung (Good Governance) substantiell gesteigert worden. Binnen der letzten zehn Jahre wurden Bereiche wie gesellschaftliche und politische Teilhabe sowie Rechtsstaatlichkeit deutlich verbessert, im Laufe der letzten fünf Jahre zudem Bereiche wie Transparenz und Verantwortlichkeit.

Es verändert sich etwas, und es verändert sich rasch. © Alex Paganelli / Unsplash.com

Es verändert sich etwas, und es verändert sich rasch. © Alex Paganelli / Unsplash.com

 Nein, damit ist bei weitem nicht alles gut. Der Bürgerkrieg im Kongo, die immer noch angespannte, um nicht zu sagen enttäuschende Situation in Simbabwe, die nach wie vor grassierende Korruption in vielen Ländern, die drohende Ausrottung von Nashörnern, Elefanten und Löwen durch organisierte Wilderei, das alles ist real und gegeben. Aber: Diese Themen treiben die afrikanischen Gesellschaften um. Tragen dazu bei, dass sich zivilgesellschaftlich Initiativen bilden, oftmals getragen von Frauen, die nach Verantwortung streben und sie wahrnehmen.

Und Verantwortung nehmen die afrikanischen Staaten tatsächlich wahr. Nirgendwo zählt man mehr Flüchtlinge als in Afrika, und doch streben sie nicht einfach alle nach Europa. Allein Uganda, Äthiopien und Kenia beherbergen rund 2,8 Millionen Flüchtlinge und versorgen sie, allen Mängeln zum Trotz.

In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass, trotzdem 2017 in Summe 18 Konflikte in und zwischen afrikanischen Ländern gezählt wurden, selbiges Jahr jenes mit den neuntwenigsten Opfern seit 1950 war.

Noch ein paar Fakten: Seit 1995 ist die chronische Mangelernährung von Kindern unter fünf Jahren um zehn Prozentpunkte zurückgegangen, hat der allgemeine Gesundheitszustand von Kindern zugenommen, steigen – trotz HIV und Malaria – dank verbesserter Behandlungen Lebenserwartung und die Aussicht auf ein qualitätsvolles Leben.

Es gibt sie, die guten Nachrichten aus Afrika. Man muss sie nur hören. © Paul Zoetmeijer / Unsplash.com

Es gibt sie, die guten Nachrichten aus Afrika. Man muss sie nur hören. © Paul Zoetmeijer / Unsplash.com

Parallel dazu steigt die Zahl jener Kinder, denen ein Schulbesuch möglich ist. Von 60 Millionen im Jahr 2000 auf 150 Millionen 2017. Die Alphabetisierungsrate unter Erwachsenen ist seit 1995 um zehn Prozentpunkte angestiegen, vor allem und in erster Linie unter Frauen.

Apropos, in elf afrikanischen Staaten halten Frauen mindestens ein Drittel aller Parlamentssitze – mehr als in Europa oder in den USA.

Das ist, zugegebenermaßen, eine Momentaufnahme. Freilich eine, die einen anderen Blickwinkel wenigstens ermöglichen sollte. Auf Afrika, als einen Kontinent der Hoffnung, der Möglichkeiten.

Konzentriert sich Europa weiterhin auf die „Bad News“ und auf das Szenario einer ungebremsten Migration zu seinen Lasten, verliert es notwendigerweise Zugang zu Afrika und die Potentiale einer zukunftszugewandten Partnerschaft. (FKSK)